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2012-06-25b Denkmalpreis RLP:


„Wir sind ein Glied in einer langen Kette der Generationen“

Interview mit Regina Stephan, Professorin für Architekturgeschichte an der Fachhochschule Mainz und Jurymitglied


Frau Professor Stephan, der Denkmalpreis zeichnet Menschen aus, die sich für alte Gebäude und Anlagen engagieren. Mancher Hausbesitzer wird das nicht verstehen. Weil er lieber neu baut statt ein altes Fachwerkhaus zu kaufen. Weil ihm die Pflege des Alten zu mühsam ist. Wie erklären Sie sich die Liebe der privaten Denkmalbesitzer zu ihren Häusern?

Stephan: Ich denke, dass derjenige, der ein Denkmal erwirbt, den Wunsch hat, in einem Gebäude mit einer Geschichte zu leben und diese weiterzuentwickeln. Ein denkmalgeschütztes Gebäude verbindet die Vergangenheit mit der Zukunft. Es ist ein bewohnbares historisches Zeugnis, in dem man als Familie in einer langen Kette von Familien, womöglich der eigenen Familie, leben kann. Im übrigen: Denkmale stehen oft in attraktiven innerstädtischen oder landschaftlichen Lagen, und sie sind oft von sehr guter handwerklicher Qualität.

Denkmalschutz wird vielfach als staatliche Aufgabe verstanden. Welche Rolle im architektonischen Bild unseres Landes spielen die privaten Denkmalbesitzer?

Eine ganz große Rolle! In ihrem Besitz liegen die Häuser, die unsere gebaute Umwelt ganz maßgeblich prägen. Wir haben nicht nur wunderbare Schlösser, Burgen und Kirchen, sondern trotz aller Verluste durch Kriege und Abrisse auch noch immer einen schönen alten Wohnbaubestand. Jedes einzelne Haus steht dabei sozusagen für die Geschichte einer Stadt oder eines Dorfes. Das heißt, der private Eigentümer ist ein ganz wichtiger Spieler auf diesem Feld – auch wenn sein Objekt nicht groß ist. Es gibt regionale Bauformen, die immer wiederkehren, wie zum Beispiel die Hofreite: Sie zu bewahren heißt, den Charakter eines Dorfes zu erhalten. Wenn im Straßenzug eines Dorfes eine Hofreite fehlt, ist das so, als würde in einem Gebiss ein Zahn fehlen. Und genau das sollte man verhindern, indem man den Eigentümern den Wert ihres Gebäudes nahe bringt und sie bei dessen Erhaltung auf vielseitige Weise unterstützt.

Bei den ausgezeichneten Objekten gibt es solche, die möglichst nah am historischen Vorbild geblieben sind, andere wiederum haben Neues mit ins Spiel gebracht, etwa Balkone angebaut. Wie viel Original braucht das Denkmal?

Ideal ist natürlich, wenn die Bausubstanz erhalten bleibt, also möglichst wenig Veränderung erfährt. Ganz schlecht ist aber, wenn ein Denkmal über Jahre leer steht, also keine Nutzung mehr hat. Die Wahrheit liegt deshalb meist in der Mitte: Man muss Modifikationen akzeptieren, wenn durch die Weiternutzung die Erhaltung ermöglicht wird. Ohne zeitgemäße Sanitäranlagen etwa wird es sehr schwierig, einen neuen Nutzer zu finden. Wichtig ist allerdings, dass die Ergänzungen qualitativ hochwertig und als solche erkennbar sind. Die alte Substanz zu bewahren und das Neue als zeitgemäße Ergänzung kenntlich zu machen – das sollte das Ziel der Sanierungsmaßnahmen sein.

Sie selbst sind Kunsthistorikerin. Wie kamen Sie zur Denkmalpflege?

Das ist eine lange Geschichte. Ich stamme aus einer Familie mit vielen Architekten im engeren und weiteren Umfeld. Mich haben historische Bauten immer schon fasziniert. Als Studentin habe ich bei den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg und bei der Bayerischen Schlösserverwaltung gejobbt, in den ersten Jahren nach der Promotion bei der Schlösserverwaltung  in Stuttgart gearbeitet. Wer einmal seinen Dienstsitz im Barockschloss Ludwigsburg hatte, der ist infiziert, weil er um die herausragenden Qualitäten historischer Bausubstanz weiß. Solche Orte machen einem klar: Lange vor uns gab es eine Generation, die das alles geschaffen hat. Wir stehen auf ihren Schultern. Auf unseren werden zukünftige Generationen stehen. Die baulichen Hinterlassenschaften zeugen von der jeweiligen Entstehungszeit. Wir müssen sie wahrnehmen, akzeptieren und bewahren. Das ist das Bewusstsein, das ich den Studenten vermitteln möchte.

Heute unterrichten Sie Architekturgeschichte an der Fachhochschule Mainz. Müssen Sie die zukünftigen Architekten erst für den Denkmalschutz begeistern – oder sehen Ihre Studenten diese Bedeutung von Anfang an?

Natürlich muss man sie begeistern, man muss ihr Interesse wecken und sie für die Qualitäten alter Bauten sensibilisieren. Die Architekturgeschichte ist grundlegend für die Arbeit als Architekt – ganz allgemein, aber auch spezifisch bei uns im Land. Daher unternehmen wir regelmäßig Exkursionen. Wenn wir uns zum Beispiel den Mainzer Dom anschauen und mit dem Dombaumeister die Gewölbe und die Fundamente studieren, dann merke ich, wie das die Studenten fasziniert. Die historischen Bauten selbst als Räume, Konstruktionen und Kunstwerke zu erleben: Das ist der Moment, in dem Begeisterung für Architekturgeschichte entsteht.

Die organisierte Denkmalpflege gibt es in Deutschland seit etwa 200 Jahren. Welche prominenten Bauwerke könnten wir ohne den Denkmalschutz heute nicht mehr erleben?

Oh, das sind ganz viele. Aber ich möchte jetzt gar kein einzelnes herausgreifen. Sondern als besondere Leistung des Denkmalschutzes hervorheben, dass es der gelingende Versuch ist, Geschichte im Zusammenhang zu bewahren. Mit der Denkmalpflege geben wir nicht nur unserer Generation, sondern auch denen, die uns nachfolgen, die Möglichkeit, ihren eigenen Blick auf historische Architekturen, aber auch Parks und Gärten, Industrieanlagen und Kulturlandschaften zu werfen und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Jede Generation sollte diese Chance haben. Darum geht es.
Das Interview führte Andrea Mertes

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 20. Juni 2012)


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