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2012-06-25c Denkmalpreis RLP:

Wachgeküsste Schönheit in Zweibrücken

Villa Ipser: Auszeichnung für die behutsame Renovierung eines Jugendstil-Kleinods


ana. Der erste Eindruck war katastrophal. Als die Kettenschlösser entfernt wurden und sich das erste Mal seit langem wieder die Portale öffneten, da war Rolf Vogelsang geschockt vom Zustand der alten Fabrikantenvilla. Der Renommierbau des Zweibrücker Schuhherstellers Anton Ipser aus dem Jahr 1908 bot ein Bild der Verwahrlosung. Deckenteile waren auf das edle Eichenparkett herabgestürzt, wertvolle Stuckarbeiten zugeschmiert, Sandsteinreliefs abgeschliffen. Durch die Sprossenfenster pfiff der Wind, in Fetzen hing die Farbe von der Wand. Das Schlimmste aber: Im Mauerwerk steckte der Hausschwamm. „Noch fünf Jahre in diesem Zustand, und die Villa wäre nicht mehr zu retten gewesen.“  

Vor zehn Jahren hat die Gesellschaft für Wohnen und Bauen (Gewobau) in Zweibrücken die Villa erworben – ohne zunächst einen konkreten Nutzungsplan zu haben. Das kommunale Wohnungsunternehmen wollte das im Stadtbild signifikante Gebäude vor dem Verfall bewahren. Den Schatz, den man damit in den Händen hielt, konnte kaum jemand auf Anhieb erkennen; auch Rolf Vogelsang, Leiter der Gewobau-Bauabteilung, tat sich anfangs schwer. Erst im Zuge der Schutzmaßnahmen kam Stück für Stück zum Vorschein, welche Schönheit hinter all dem Dreck und Verfall wartete. Und mit welcher Liebe zum Detail der Zweibrücker Architekt Otto Schäfer das Gebäude 1908 konzipiert hatte. Angelehnt an die Ästhetik des Späthistorismus, hatte Schäfer stilistische Elemente des Barock, der Renaissance und vor allem des damals beliebten Jugendstils verwendet. Kunstvoll hatte der damals gerade einmal 26 Jahre alte Baumeister diese so unterschiedlichen Elemente zu einer harmonischen Ganzheit verbunden.

Das Ergebnis war eine freistehende 19-Zimmer-Villa, die in der Denkmalpflege als Paradebeispiel einer Jugendstilvilla gilt. Umgeben von einem 7000 m2 großen Park, zeigt ihre Außensicht von jeder Himmelsrichtung aus ein anderes Gepräge: So erhebt sich im Norden ein dreigeschossiger Turm mit Zwiebelhaube und prunkt im Osten, von Sandsteinreliefs ummantelt, ein Schaubalkon. Die phantasievoll austarierte Komposition setzt sich im Inneren fort, wo fast jeder Raum ein eigenes Parkettmuster aufweist und fast jede Decke eine eigene Aussage hat.

Doch die guten Tage der Villa waren mit dem Zweiten Weltkrieg zu Ende. Während eines Bombenangriffs wurde die Zwiebelhaube des malerischen Turms zerstört und später nur durch ein Notdach ersetzt. Nach 1945 zog eine Jugendherberge in die aufgegebene Villa ein, später die Standortverwaltung der Bundeswehr. Versuche, ein Hotel und nachher ein Altenwohnheim zu etablieren, scheiterten. Ab 1995 stand die Villa leer und verfiel. Bis zu jenem Tag im Jahr 2002, als der neue Eigentümer Gewobau die Ketten entfernte und die Eingänge wieder öffnete.

„Die Herausforderung bestand darin, das Alte zu erhalten, gleichzeitig aber bautechnische Nachteile auszumerzen“, sagt Rolf Vogelsang. Und so machte sich die Gewoba an eine behutsame Komplettrestaurierung. Es galt, das authentische Erscheinungsbild wiederherzustellen – was neben einer Fassadeninstandsetzung der Haustein-Gliederung und Putzoberflächen in Kalktechnik unter anderem auch die Rekonstruktion der zerstörten Turmhaube beinhaltete. Auch die originale Ausstattung wurde gerettet, hölzerne Wandvertäfelungen aufgearbeitet, die historische Freitreppe und der schmiedeeiserne Gartenzaun mit seiner auffälligen Jugendstilornamentik restauriert. Doch wie hatte sie überhaupt ausgesehen, die Originalvilla von 1908? Da half der Gewobau die städtische Archivarin weiter: In stundenlanger Recherche konnte sie eine alte Bildvorlage des Gebäudes auftun.

„Wir haben alles, was erhaltbar war, wieder hergestellt“, sagt Rolf Vogelsang, „mit einer Ausnahme: der Sanitärbereich.“ Denn dieser ist ein Beispiel für die bautechnischen Details der Villa, die dem Stand des 21. Jahrhunderts angeglichen werden mussten. Schließlich möchte sich heute niemand mehr mit sanitären Bedingungen wie vor 100 Jahren bescheiden. Auch hier war Behutsamkeit oberstes Gebot: Die neuen Sanitärbereiche wurden als Stahlglasboxen in die historischen Räume gesetzt. „Man könnte sie komplett entnehmen, und der Raum wäre wieder unverändert“, erklärt der Gewoba-Architekt mit einen Anflug von Stolz. Sogar die Holzvertäfelungen, die für Armaturen und Rohre entnommen wurden, sind eingelagert. Man weiß ja nie.

Bei einem solch aufwendigen Umbau ist die Neugierde, wie es wohl in Inneren der Villa aussehen mag, groß. Deshalb haben die Bauherren während der Umbauphase viele Führungen durch das Objekt organisiert. Bei einer dieser Besichtigungsrunden entfuhr einem anwesenden Landespolitiker spontan die Bemerkung: „Hier würde ich sofort einziehen“. Allein, der Mann kam zu spät. Im September 2010 war Schlüsselübergabe für den heutigen Bewohner; In der behutsam renovierten Jugendstilvilla residiert heute, ganz passend, eine Privatklinik für Ästhetische Chirurgie.


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 20.. Juni 2012)


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