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2012-08-15 Analyse:
 
Sieben Milliarden Menschen
essen die Meere leer
 

Wachstum bei Fleisch- und Fischverzehr unterminiert auf Dauer die globale Nahrungsversorgung

ape. In den Wohlstandsregionen dieser Welt gehört inzwischen zum Allgemeinwissen: Wer im Übermaß Braten, Koteletts, Wurst futtert, tut seiner Gesundheit keinen Gefallen. Was meint Übermaß? Täglich ein Stück Fleisch auf dem Teller, zudem die Brote dick mit Aufschnitt belegt, das ist viel zu viel. Herumgesprochen hat sich auch, dass die weltweit zunehmende „Produktion“ von Rindern, Schweinen, Schafen und Federvieh jede Menge Probleme für die Umwelt mit sich bringt. Obendrein schlägt Massentierhaltung immer mehr Zeitgenossen nicht nur auf den Magen, sondern auch aufs Gewissen.  Was tun umwelt- und gesundheitsbewusste Deutsche? Einige werden Vegetarier, viele greifen verstärkt zu Fisch.
 

Im vergangenen Jahrzehnt ist der Fleischkonsum hierzulande erstmals seit 1950 nicht weiter angestiegen. Dafür wird in Deutschland im Durchschnitt pro Kopf und Jahr heute ein Drittel mehr Fisch verzehrt als eine Generation zuvor: 15,5, Kilogramm waren es zuletzt, gegenüber 11,2 Kilo anno 1980. Was nach einer guten Nachricht klingt, treibt Meereswissenschaftlern Schweißperlen auf die Stirn. Deren Forschungen belegen: Die Menge an Fisch, die industrieller Fischfang den Meeren entnimmt, übersteigt die Reproduktionsfähigkeit zahlreicher maritimer  Populationen deutlich.

Landeten 1950 noch 20 Millionen Tonnen Fisch in den Bäuchen der Fangflotten, so waren es 1990 schon 80 Millionen. Nicht mitgerechnet jenes Drittel Beifang, das weggeschmissen wird. War man im frühen 19. Jahrhundert noch davon ausgegangen, die Ressourcen der Meere seien quasi unerschöpflich, so wurde die Welt bald eines besseren belehrt. Etwa durch die schiere Ausrottung der Wale oder den Zusammenbruch der einst so reichen neufundländischen Kabeljau-Bestände. Ein Schicksal, das jetzt auch dem südlichen Blauflossenthun droht.

Erschreckend fällt die Bestandsaufnahme der Europäischen Kommission und der Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO) aus: Danach sind 32 Prozent der Fischbestände weltweit überfischt, im Atlantik 63 Prozent, im Mittelmeer gar 82 Prozent. Schlimmer noch: Rund ein Viertel der globalen Bestände gelten als „zusammengebrochen“. Was bedeutet, dass eine Population auf weniger als fünf Prozent ihres ursprünglichen, unbefischten Bestandes abgesunken ist. Das kann für einige Arten die Ausrottung bedeuten, für andere Rettung nur dann, wenn ihre Befischung ganz eingestellt würde.

Fisch ist im Weltmaßstab ein immer knapper werdendes Gut. Die Hoffnung auf Ausgleich durch Zuchtfisch aus großen Aquakulturen muss indes vage bleiben. Denn einerseits birgt diese „Technik“ ähnliche Probleme wie die Massentierhaltung an Land. Andererseits trägt sie selbst zur Überfischung bei: Zuchtfisch wird überwiegend mit Fischmehl gemästet. Fünf Kilo Sardellen braucht's, um ein Kilo Zuchtlachs zu „produzieren“.          
            
Also doch lieber ganz bei Rindersteak und Schweinskotelett bleiben? Das wäre fatal angesichts folgender Rechnung: Würde weltweit so viel Fleisch gegessen wie in Deutschland oder gar in den USA, es gäbe auf Erden nicht genügend Acker-, Wiesen-, Weidefläche, um all das Vieh schlachtreif zu füttern. Etwa 130 Kilo Fleisch verspeisten die Amerikaner Mitte des vergangenen Jahrzehnts durchschnittlich pro Kopf und Jahr, 88 Kilo die Deutschen. Im Schnitt der Industrieländer stieg der Fleischkonsum zwischen 1970 und 2002 von 65 auf 80 Kilo. In der übrigen Welt verdreifachte sich im selben Zeitraum der Pro-Kopf-Verbrauch nahezu – freilich auf niedrigerem Niveau von 11 auf 29 Kilo. Tendenz dort: Anhaltend stramm aufwärts und China vorneweg.

Das jüngste Anwachsen des Fleischverzehrs pro Kopf rührt nicht zuletzt von wirtschaftlichen Entwicklungen und (ess-)kulturellen Umbrüchen in den Schwellenländern. Die neue Mittelschicht dort strebt oft auch bei Tisch dem Vorbild der Industrieländer nach. Hinzu kommt die Verdoppelung der Weltbevölkerung seit 1960 auf sieben Milliarden Menschen. Aus beiden Faktoren sowie dem anhaltend hohen Konsumniveau in den Industriestaaten resultiert für diesen Zeitraum eine Vervierfachung des weltweiten Verbrauchs an Fleisch von 70 Millionen Tonnen auf zuletzt fast 300 Millionen.

Eine nochmalige Verdoppelung des globalen Fleischkonsums binnen 10 bis 20 Jahren darf als realistische Prognose gelten. Was vermehrt zu der scheinbar paradoxen Situation führen wird, dass Steigerung der „Fleischproduktion“ zur Verschärfung des Hungers in der Welt beiträgt. Denn um eine Kilokalorie Nahrungsmittel tierischer Herkunft zu erzeugen, bedarf es etwa zehn Kilokalorien Futtermittel pflanzlichen Ursprungs. Gerade in der Massentierhaltung wird ein beträchtlicher Teil davon nicht durch Grasfutter gedeckt, sondern durch Getreide, Mais und Soja. Damit tritt bei expandierender Viehzucht die Futtermittelproduktion in Konkurrenz um die Anbauflächen für Brotgetreide, Reis, Gemüse und Obst.

Die Menschheit steckt also in der Zwickmühle. Das Anwachsen ihrer absoluten Zahl und zugleich das Wachstum des Pro-Kopf-Verbrauchs an Fleisch unterminiert die eigene Nahrungsversorgung. Das Ausweichen auf Fisch fällt als zukunftsträchtige Alternative aus, weil eine Weltbevölkerung von sieben Milliarden Menschen bereits jetzt dabei ist, die globalen Gewässer leer zu essen. Was tun? Nachhaltig wirtschaften – das ist bei Nahrungsmitteln das zentrale Stichwort und eine Primärforderung an Politik und Wirtschaft. Letztlich kann das für hiesige Konsumenten auch heißen: Weniger totes Tier essen, egal ob Fleisch oder Fisch.                                                   Andreas Pecht       

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 16./17. August 2012)


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