Theater
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2012-10-30 Ballettkritik:

Ballettabend von Thoss/Spota in Wiesbaden zwischen Eindringlichkeit und philosophischer Überfrachtung

Liebe in schnelllebiger Zeit


 
ape. Was will der Künstler uns sagen? Selbst wer weiß, dass diese populäre Frage den  Erstzugang zu Kunstwerken eher erschwert denn erleichtert, wird sie nie ganz los. Lange hält sich der Zuseher jetzt auch am Staatstheater Wiesbaden damit auf, die im dreiteiligen Ballettabend „Made in Love“ verarbeiteten philosophischen Botschaften enträtseln zu wollen. Vergebens – Ballettchef Stephan Thoss will zu viel des Klugen, und Tänzer Giuseppe Spota tut es ihm bei seiner ersten großen choreographischen Arbeit gleich.

 
Was sagt und gibt die Tanzkunst während dieser zwei Stunden mir? Was kann, will ich darin erkennen? Der persönliche Perspektivenwechsel des Zusehers führt hier zur Umkehrung der Gewichtung bei den drei Uraufführungen: Die kürzeste und scheinbar leichteste Choreographie, „Fast Play“ von Thoss, wird zum eindringlichsten Teil.

Vier Paare versuchen in schnell verrinnender Zeit menschliche Bedürfnisse auszuleben. Szenisch ist das eine Verkettung aus abrupten Wechseln zwischen hektischer Aktivität und schierem Stillstand. Tänzerisch greifen diverse Stile ineinander. Inhaltlich ergibt sich ein ebenso dynamisches wie berührendes Kaleidoskop der Vergeblichkeit: Sehnen nach Zärtlichkeit, Liebe, Beisichsein reibt sich am Drang nach Ausgelassenheit,  Action – auch nach solistischem Star-Auftritt, der jedoch in Uniformität endet.

Diese Acht sind Getriebene ihrer Zeit, aller Zeiten. In elegischer Breite greift Thoss das Thema Zeit dann für den zweiten Teil „Kommen und Gehen“ erneut auf. Ein verkünsteltes Video fragt: „Was ist die Zeit?“ Mit Uhrticken startet eine Klangmontage von Vivaldi bis zur minimalistischen Moderne. Das mechanische Ticken wird von der weiß geschminkten Romy Liebig als Bewegungsprinzip übernommen. Sie führt als personifizierte Zeit durch eine etwa 40-minütige Ballettmetapher auf Vergänglichkeit. Ob diese Deutung dem Ansinnen von Thoss' entspricht, sei dahingestellt. 

„Kommen und Gehen“ bleibt durchweg bei einer stimmigen Düsteratmosphäre, die sich aus   tausenderlei Tanzvariationen zusammensetzt. Ähnlich wie bei „Fast Play“ stehen auch hier Ruhepunkte und turbulenter Lebenskampf gegeneinander. Der Mensch ist ein Zerrissener, die   Fragmentierung seines Daseins wirkt bis in den Tanzstil der gesamten Compagnie hinein: Nie sah man in Wiesbaden ein derart gebrochenes, nach Forsyth'scher Manier zersplittertes, auch der Antieleganz verschriebenes Figurenrepertoire. Das hat große, innige und in den Soli von Valeria Lampadova und Tenald Zace erschütternde Momente, die allerdings über Längen kaum hinwegtäuschen können.

Nicht anders Spotas „Abi/Tiamo“. Der Titel spielt mit den italienischen Ausdrücken für „wir existieren“ und „ich liebe dich“. Entsprechend bewegt sich seine Choreographie zwischen Existenzfragen und Liebesproblematik. Geschwungene Holzwände bilden mal Labyrinthe, mal  Mauern, mal eine Brücke. An denen arbeiten sich Ayumi Sagawa und Frank Pedersen als liebendes Paar virtuos ab. Zu tun bekommen sie es dabei mit Geistergestalten. Das sind wohl Aspekte ihrer selbst: Verklemmungen, Ängste, Hoffnungen, Triebe?

Und über allem thront in einem riesigen Reifrock – wer, was? Mutter, Übermutter, Liebesgöttin,   Moral? Rätselhaft. Doch gibt es hinreißende Passagen, in denen  sich Heber, Würfe, Sprünge, Rollen, Pirouetten des Ensembles zu waghalsig pulsenden Tanzströmen verdichten. Spotas Potenziale als Choreograph sind unverkennbar; seine Neigung, das Ballett mit Grübelei und Theatralik zu überfrachten, ist es allerdings auch (noch).
                                                                                   Andreas Pecht

Infos: www.staatstheater-wiesbaden.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 30. Oktober 2012)


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