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2012-11-08 Essay:

Die Energiewende droht
zerredet zu werden


Im politökonomischen Hickhack gehen die ureigentlichen Ziele unter

 

Für Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) ist die Energiewende das „bedeutendste wirtschaftspolitische Projekt seit dem Wiederaufbau“. Spitzfindig könnte man ergänzen: Vor allem ist sie das bedeutendste umweltpolitische Projekt, ja die tiefgreifendste deutschlandweite Infrastruktur-Maßnahme seither, ein Zivilisationssprung. Schließlich hat sich die Nation nicht weniger vorgenommen als die komplette Umstellung ihrer Energieversorgung von Kohle-, Öl-, Uran-verbrauchender auf regenerative Erzeugung. Die Dimensionen dieser Aufgabe sind durchaus vergleichbar dem Wandel des Transportwesens vom Pferd zur Eisenbahn und zum Automobil, oder von wilder Abwassereinleitung in Flüsse zur geregelten Entsorgung über Tausende Kläranlagen.


Die Kosten für Staat, Wirtschaft und Bürger waren stets beträchtlich. Aufbau und Unterhalt des Eisenbahnwesens, der Straßen und Autobahnen, des Abwassersystems und anderer Infrastruktursysteme vom Frischwasser übers Telefon bis zu Schulen und Krankenhäusern gab es nie umsonst. Mit Steuern und Gebühren trägt jeder Deutsche bis heute dazu bei – und bezahlt für jede Bahnfahrkarte oder für sein Auto und jeden Liter Benzin obendrein. Niemand konnte davon ausgehen, dass ausgerechnet die Energiewende da eine Ausnahme bilden würde und zum Nulltarif zu haben sei.


Verfolgt man aber die deutsche Energiediskussion in diesen Tagen, scheint genau das der Fall. Unter dem Slogan „Die Energiewende muss bezahlbar bleiben“ greifen tausenderlei Einwände, Bedenken, Ängste, ja schiere Hysterie um sich – weil deutlich wird, dass der Wandel einen Batzen Geld kostet. Auf rund 500 Milliarden Euro Umstiegskosten insgesamt bis anno 2050 belaufen sich Schätzungen. Es können auch 200 Milliarden mehr oder weniger werden; Genaues mag keiner beschwören, denn Unwägbarkeiten gibt es bei solch gigantischen Projekten zuhauf. Doch sei darauf hingewiesen: Der Aufbau der reichsdeutschen Eisenbahn oder des bundesrepublikanischen Straßennetzes kamen die Deutschen seinerzeit teurer.


Es steckt jede Menge Unehrlichkeit in der aktuellen Diskussion. Von interessierter Seite wird regelrecht Panik geschürt hinsichtlich kommender Preissteigerungen beim Strom angeblich infolge der Energiewende. Viele der Berechnungen preisen allerdings einfach Gewinnabschöpfungen der Stromkonzerne, Renditegarantien für Netzbetreiber oder Abgabenbefreiung ganzer Wirtschaftszweige in die prognostizierte Kostensteigerung für Privathaushalte ein. Aber selbst von dieser fragwürdigen Politik einmal abgesehen: Wir reden über Beträge von 100 bis 200 Euro pro Jahr, die der Durchschnittshaushalt demnächst vielleicht mehr für Strom ausgeben muss.


Wir reden also, entgegen der verbreiteten Panikmache, über eine Mehrbelastung irgendwo zwischen 8 und 17 Euro pro Monat und Familie. Die Armen im Land träfe das allerdings hart, weshalb an sozialem Ausgleich für sie kein Weg vorbeiführt. Ob als Sozialstromtarif oder Aufschlag auf Hartz IV, Wohngeld, Rente sei dahingestellt. Die übrige Gesellschaft jedoch würde davon kaum etwas oder gar nichts bemerken. Bei manchem Zeitgenossen könnte schon ein bisschen weniger Gasgeben im Auto locker Ausgleich schaffen.


Einer Minderheit wären freilich sogar zwei Euro mehr für die Energiewende ein Dorn im Auge. Denn sie hält den Atomausstieg und die Hinwendung zu regenerativen Energien sowieso für weltfremden Humbug. Noch immer aber lässt sich nach Umfragen eine deutliche Mehrheit der Deutschen den Wunsch nach einer Energiewende nicht madig machen: weder durch alarmistische Kostenprognosen noch durch das vielstimmige Hickhack um politische Weichenstellungen oder ums technische Procedere. Was allerdings auch bei den Befürwortern als arges Ärgernis empfunden wird, sind die Ungerechtigkeiten bei der Lastenverteilung der Energiewende. Dass über die Stromkostensteigerung für Privathaushalte Industriebetriebe und Energiekonzerne subventioniert werden, dafür fehlt das Verständnis.


Die Energiewende berührt viele unterschiedliche Interessen, weshalb ihr Umfeld auch einem Schlachtfeld der Lobbyisten gleicht. Bund, Bundesländer, Kreise, Kommunen, diverse Wirtschaftszweige verfolgen ihre je eigenen Belange. Obendrein melden vormals engagierte Befürworter der Energiewende jetzt vermehrt Einwände an: Naturschützer-Kritik an der „Verspargelung“ der Landschaft durch Windräder sei stellvertretend als Stichworte genannt. Gegen die Energiewende selbst spricht das alles nicht, eher gegen die Art, wie ihre Umsetzung in Deutschland angelaufen ist: wildwüchsig, unbedacht, ungerecht.


Um ein Beispiel zu nennen: Es gibt keinen Grund, Windkraftparks wahllos in die Nähe von Wohnhäusern oder in sensible Naturschutzgebiete zu bauen. Bundesweit vernünftige Flächennutzungspläne sollten doch kein Ding der Unmöglichkeit sein. Umgekehrt gilt ebenso: Ohne etliche tausend Windräder funktioniert die Energiewende nicht. Wir werden uns weithin an ihren Anblick gewöhnen müssen – so wie wir uns an qualmende Kohle- und dampfende Atomkraftwerke, an die endlosen Asphaltbänder der Straßen oder die Zersiedelung der Landschaft hatten gewöhnen müssen.


Auf dem Schlachtfeld der Lobbyisten und im Spannungsfeld zwischen den politischen Parteien läuft die Energiewende Gefahr, zerredet zu werden. Vor diesem Hintergrund mag es hilfreich sein, sich wieder einmal die ureigentlichen Ziele dieses gesamtgesellschaftlichen Projektes in Erinnerung zu rufen. Es ging nie darum, ein Schnäppchen zu machen. Wirtschaftlicher Nutzen sollte die Machbarkeit verbessern und Akzeptanz fördern, war nicht primärer Zweck der Operation. Vielmehr wollten wir vor allem im Interesse unserer Kinder und Kindeskinder: erstens auf die gefährliche Atomenergie verzichten, zweitens immer knapper werdende Ressourcen nicht unnütz verheizen, drittens das Weltklima durch wachsende fossile Verbrennung nicht noch stärker gefährden.


Was ist geworden aus diesen aller Ehren werten Zielen? Ein beschämendes Geschacher. Das muss aufhören.

                                                                                 Andreas Pecht


 

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 8. November 2012)


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