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2012-12-03 Schauspielkritik:

Friedrich Schillers Trauerspiel "Die Räuber" in Koblenz. Regie: Christian Schlüter


Von großartig bis krawallig


 
ape. Koblenz. Von der Uraufführung 1782 in Mannheim wissen wir, dass sich im Publikum tumultuarische Szenen der Erschütterung und Begeisterung abspielten. Wie Schillers Trauerspiel „Die Räuber“ dann am 30. November 1787 im neuen Theater zu Koblenz aufgenommen wurde, ist  nicht überliefert. Auf den Tag 225 Jahre danach hat es jetzt hier kräftigen Premierenapplaus für die jüngste Neuinszenierungen gegeben – zu der aber auch manch Kritisches anzumerken bleibt.
 

Keine Frage: Eingangs- und Schlussszene in Christian Schlüters Inszenierung sind große Theaterkunst. Da schlurft Jona Mues erst mit Buckel, dann mit Hinkefuß vor den Eisernen Vorhang. Um einen barocken Sessel drapiert er einen Plastikbeutel mit abgehacktem Arm drinnen, dazu Vorschlaghammer und Teewagen. Plötzlich legt er alle Gebrechten ab: Wie dereinst sein Schöpfer, der kränkliche Schiller, wird dieser Franz von Moor als bloßer Denker bei Kräutertee und Apfelschnitzen zum Welt und Schicksal durchdringenden Kraftmenschen.

Er zerpflückt die Idealismen liebespflichtiger Blutsbande und gottgewollter Erbfolge, die ihn zu Nachrangigkeit verdammen. Kühler Kopf und heißes Herz verbünden sich zu diabolischer Planung: Die Umstände, die ihn hemmen, will Franz „zernichten“, auf dass er „Herr werde“. Mues' lässt dem gedankenschweren Monolog Zeit, damit der Zuschauer verstehe, welche Triebkräfte all das Schreckliche in Gang setzen, das folgt. Und dem zweieinhalb Stunden später vor der übergroßen Totenmaske Schillers mit dem furios zur inneren Zwiesprache gewandelten Dialog zwischen Franz und Priester ein erschütternder Schlusspunkt gesetzt wird.

Keine Frage: Einige Szenen dazwischen sind für sich genommen wohlgestaltet. So die erst schüchterne Annäherung des Franz an die sich im Reifrock auf einem Höckerchen melancholisch wiegende Amalie. Als Braut seines Bruders Karl liefert Katja Thiele eine einnehmende Leistung ab, wie auch Philip Engelhardt, der seinen Räuber Roller in wunderbarer Ambivalenz aus Beschränkheit und Hingebung an den Hauptmann formt.

Doch drängt sich die Frage nach einem übergreifenden inszenatorischen Bogen auf, der die bald überbordende Vielfalt interpretatorischer Ansätze und theatralischer Mittel  von der Beliebigkeit fernhält. Was bezweckt die Regie etwa mit einer Räuberbande, die sich wechselweise geriert als trinkfreudige Burschenschaft, Fäuste ballende 68er-Revoluzzer, mit dem Florian-Geyer-Lied als Bauernaufständische des 16. Jahrhunderts oder in moderner Fechtmontur mit prallem Suspensorium wie die Gewalt-Gang aus „Clockwork Orange“? Fehlen noch Punks und man hätte die ganze jüngere Inszenierungsgeschichte des Stücks beisammen. Das ist zu viel gewollt, zu kunterbunt.

Allenthalben wird auf der sich Schicht um Schicht weiter in die Tiefe öffnenden Bühne (Ausstattung: Jochen Schmitt/Lena Thelen) das Schiller'sche Pathos gar zu dick aufgetragen –  in modernen Outfits wie in historisierenden Kostümen und entsprechender Spiel-Art. Aber warum? Wir wissen doch, dass Schiller und Co. in ungebrochenem Originalton heutzutage streckenweise befremden. Die Klassiker ernst nehmen, bringt die Forderung ans Theater mit sich: Übersetze das; prüfe, was es uns noch angeht; mach einen Vorschlag, wie es uns heute jenseits musealer Altertumspflege wichtig bleiben kann.

Schlüters Einrichtung lässt indes all zu oft dem alten Pathos mutwillig freien Lauf – und landet so wiederholt bei sich aufschaukelndem Krawall. Die Grenzen zwischen Ernst und Persiflage verschwimmen. Dieser Manier fällt der Karl von Felix Meyer zum Opfer, der im eigenen überschäumendem Tragödenspiel ertrinkt. Dieser Manier erliegt im anderen Extrem auch Spiegelberg, dessen eigentlich schön angelegte Führer-Frustration in Marcel Rodriguez' Hang zum kecken bis komischen Auftrumpfen untergeht.
 
Keine Frage: Langweilig werden einem diese Koblenzer „Räuber“ nie. Aber wie großartig sie hätte werden können, das sieht man nur am Anfang und am Ende.                                   Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-koblenz.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 3. Dezember 2012)


Kritik einer früheren Inszenierung Schlüters in Koblenz:
2011-05-08 Schauspielkritik:
"Kasimir und Karoline" von Horváth am Theater Koblenz.



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