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2012-12-29 Serie Welterbeanträge Rheinland-Pfalz:

Serie Teil 4/Schluss: Die Sayner Hütte in Bendorf


Rheinland-pfälzisches Industriedenkmal mit Welterbe-Potenzial


ape. Rheinland-Pfalz. Die Sayner Hütte ist beileibe kein Gigant wie etwa die gleich auf den ersten Blick imposanten Unesco-Welterbestätten Völklinger Hütte oder Zeche/Kokerei Zollverein. Die historische Eisengießerei liegt am Ausgang des Sayntals bei Bendorf nahe Koblenz. Davor plätschert der Saynbach, gleich dahinter erhebt sich der Westerwald, auf dessen erster Anhöhe die Ruine der Stammburg der Grafen von Sayn thront. Eine beschauliche Szenerie – der jedoch das Potenzial fürs erste rheinland-pfälzische Industriedenkmal mit Welterbestatus innewohnen könnte.


Fotos: Stefan Sämmer

Was hat die Hütten-Anlage im Sayntal Weltbedeutendes an sich, dass die Landesregierung sie ins Antragsverfahren für den Unesco-Welterbestatus einbringt? Zwei Aspekte machen sie trotz ihrer vergleichsweise bescheidenen Dimension zu einer Besonderheit. Erstens die Bauweise der 1830 errichteten Gießhalle als Kernstück. Zweitens die Zusammensetzung der Gesamtanlage aus noch erhaltenen Gebäuden verschiedener Epochen vom mittleren 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert.

Das mag aus historischer Sicht keine allzu große Spanne sein. Es war aber eine Zeit, in der die Welt durch die industrielle Revolution völlig umgekrempelt wurde. Und in jenem Tälchen am Fuße des Westerwaldes entstand ein dafür nicht unwesentliches Element: Ein Industriegebäude mit einer aus vorgefertigten Eisengussteilen zusammengebauten tragenden Konstruktion. Heute sind solche Baukasten-Systeme ein alter Hut. Damals aber war die Sayner Gießhalle der erste Hallenbau solcher Machart in Europa – mithin der Prototyp für zahllose Industriebauten des 19. Jahrhunderts.

Und eben jene vom Hütteninspektor Carl Ludwig Althans entworfene Gießhalle aus dem Jahr 1830 steht noch. Fast unverändert, sieht man ab von einigen späteren Umrüstungen der 1926 stillgelegten Hütte. Zur einst bautechnisch revolutionären Bedeutung der Gießhalle gesellt sich eine bemerkenswerte Ästhetik. Mit ihrer an Mittelalter-Kathetralen angelehnten Form aus überhöhtem Mittelschiff und Seitenschiffen sowie der großen neugotischen Front aus Eisen und Glas erfreut sie das Auge noch immer.

Wie beim Wiederaufbau der mittelrheinischen Burgen und beim Koblenzer Festungsbau, so hatten auch im Sayntal seit dem Wiener Kongress die Preußen ihre Finger im Spiel. Sie brauchten für die militärische wie zivile Entwicklung ihrer Rheinprovinz gewaltige Mengen Eisen. Da kam ihnen die schon 1769 vom Kurfürsten Clemens Wenzeslaus gegründete Sayner Hütte gerade recht. Allerdings war deren Kapazität für den Eisenhunger der neuen Zeit viel zu gering. Weshalb die Hütte unter preußischer Ägide rasch ausgebaut wurde und mit der neuen Althans'schen Gießhalle neben den Gießereien in Berlin und Gleiwitz zur wichtigsten im Reiche des Königs von Preußen avancierte.

1865 wurde die Sayner Hütte an Krupp verkauft, der nun seinerseits das Ensemble erweiterte. Etwa um das Direktorenhaus (1865), die Kruppsche Halle (1908) und eine gusseiserne Brücke über den Saynbach. Auch diese Teile sind noch erhalten. So steht die Gesamtanlage vom kurfürstlichen Comptoirgebäude über den preußischen bis zum Krupp'schen Ausbau für eine kontinuierliche Betriebsgeschichte vom Frühindustrialismus bis in die 1920er. Ein auf engstem Raum so weit in die Zeiten greifendes Zeugnis der Industriegeschichte hat Seltenheitswert.

Doch sollte über die Begeisterung für die architektur- und technikgeschichtliche Dimension eine andere historische Erzählung nicht vergessen werden, die der Sayner Hütte ebenfalls anhaftet: die der dort Beschäftigten, der Arbeiter. Es ist oft eine Krux der Würdigung von Denkmälern, dass sie fast ausschließlich auf bauliche Leistungen und herrschaftliche Lebensart abheben. Die das alles erst ermöglicht haben – Bauern, Handwerker, Arbeiter, Gesinde –, deren Lebens- und Arbeitsbedingungen kommen kaum vor. Natürlich ist die Quellenlage  dürftig, weil die Primitiveinrichtung von Gesindestuben zuerst auf dem Müll landete und die herrschaftlichen Geschichtsschreiber dem niederen Volk nur wenig Aufmerksamkeit schenkten.

Es könnte eine wissenschaftliche Herausforderung sein, diesem Manko endlich Abhilfe zu schaffen. Bei einem Industriedenkmal ist der Blickwinkel „von unten“ nachgerade ein Muss. Schließlich handelt es sich dabei um einen Ort der Arbeit. Wie jetzt die Restaurierung der Sayner Hütte vorangetrieben wird, so sollte auch ihre Erforschung und Vermittlung als Zeugnis der Sozial- und Arbeitergeschichte angepackt werden. Gleichgültig, ob das Ensemble den Welterbestatus erhält oder „nur“ ein bedeutendes Industriedenkmal in Rheinland-Pfalz bleibt.        Andreas Pecht


Serie Teil 1: Drei rheinland-pfälzische Anträge auf Unesco-Welterbetitel. Überblick und Einschätzung

∇ Serie Teil 2: Die "Kaiserdome" Speyer, Worms, Mainz als Gesamtensemble

∇ Serie Teil 3: Das alte jüdische Zentrum am Rhein, die SchUM-Städte Speyer, Worms und Mainz


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
Woche 52 im Dezember 2012)


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