Kritiken Theater
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2013-02-04 Ballettkritik:

Tanzstück "2x Fensterplatz" von Steffen Fuchs
am Theater Koblenz


Ganz nah an den Tänzern
 

 
ape. Koblenz. Spätestens seit Alfred Kirchners Inszenierung von „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“ 1979 in Bochum ist die Aufhebung der Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum für die Schauspielsparte eine reguläre Form. Das Brecht-Stück war mitten im frei herumstehenden und -gehenden Publikum gespielt worden. In der Tanzsparte dauerte es dahin etwas länger. Am Theater Koblenz ist man seit 25 Jahren mit der probebühne II als offenem Schauspielraum vertraut. Das dortige Ballett indes holt  jetzt erst das Publikum zu sich auf die Bühne: Tanzchef Steffen Fuchs wagt es hinter dem Eisernen Vorhang mit seinem Stück „2x Fensterplatz“.
 

Foto: Theater Koblenz/Mattias Baus

Drei Tänzerinnen, ein Tänzer, eine Pianistin und 65 Besucher bevölkern die Aktionsfläche, die sonst Bühne des Großen Hauses ist. An vier Seiten geschlossen, wird dieser Raum fast intim, behält aber wegen der unbegrenzten Höhe zugleich Weite. Dies bleibt nicht die einzige Ambivalenz der 55-minütigen Produktion. Im Programmheft steht „niemand wird gezwungen“; eine Stimme aus dem Off verkündet jedoch „alle müssen“. Was? Mitmachen.

Die Ankündigung legt etwas Beklommenheit über die Gemüter. Sitzend auf  im Raum verteilten Stühlen, fürchten die einen, aufgerufen zu werden, rüsten andere sich mit Renitenz gegen denkbare Zumutungen, sehen wieder andere mit williger Neugierde dem Kommenden entgegen. Das Mitmachenmüssen fällt dann harmlos aus. Im ersten Teil bleibt's beim Zusehen; im zweiten bitten Tänzer lieb einige Zuseher, ihre Plätze zu tauschen; zum Schluss animiert das Ballettpersonal allgemeines Walzertanzen, bei dem problemlos nicht mittut, wer nicht mag.

Olga Bojkova-Bicanic spielt am Flügel mannigfach variiert „An der schönen blauen Donau“ im für viele ungewohnten Raum mit seiner ungewohnten Perspektive nebst ungewohnter Nähe zu den Tanzakteuren. Das macht in summa eine hübsche kleine Produktion, die Beklommenheit löst sich nachher in Verspieltheit. Nicht mehr, nicht weniger. Und doch wohnt dem Projekt eine Anregung inne, die man in Koblenz wie auch andernorts bedenken sollte: öfter mal die Möglichkeiten ergreifen, die sich aus extremer räumlicher Nähe zwischen Tänzern und Publikum ergeben.

Wenn Lisa Gottwik und Asuko Inoue kaum eine Armlänge vom Zuseher weg ihre Passagen tanzen, lassen sich Feinheiten erkennen, die bei „normalen“ Ballettabenden von Ferne kaum wahrnehmbar sind. Wenn Kaho Kishinami und Arkadiusz Glebocki in einige stille Minuten ein Pas de Deux weben, wird für den direkt dabei sitzenden Beobachter erkennbar, wie aus kleinen Bewegungen der tanzkünstlerisch berückende Höhepunkt von „2x Fensterplatz“ entsteht.

Raffinement der Griffe, Impulsabstimmung, Spannungsübergabe, Atemrhythmus: Die Verwandlung von Tanztechnik in Seelensausdruck wird für den ganz nahen Zuseher sehr intensiv erlebbar. Und dem Ballett bieten sich in dieser Form Ausdrucksmöglichkeiten, die es sonst nur bei Großaufnahmen im Tanzfilm gibt – dort jedoch beschränkt auf den optischen Eindruck.

Wer einmal live die Intimform des Balletts genießen durfte, möchte sie als Ergänzung zum großen Bühnenformat nicht mehr missen. Denn sie ist ein Augenöffner für das Wunder der Tanzkunst, das in den kleinsten Körperausdrücken seine eigentlichen Wurzeln hat. Deshalb der Wunsch an die Kompagnien: Lasst uns bisweilen ganz nahe heran. Und an die Choreographen den Wunsch: Nutzt die dem Nahformat eigenen Möglichkeiten für spezielle Choreographien – in denen die Größe des Kleinen zur Entfaltung kommt.                                                                    Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-koblenz.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 4. Februar 2013)


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