Thema Kultur / Altertümer
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2013-02-05a Buchbeitrag:

Die Festung Ehrenbreitstein in der Post-BUGA-Zeit



Erzählerin über die Geschichte
in der Mitte Europas

ape. Koblenz. Vielleicht wäre es ohnehin so gekommen mit der Koblenzer Festung Ehrenbreitstein. Vielleicht hätte die historische Wehranlage hoch über dem Rhein auch ohne BUGA jenen Stand erreicht, der sie 2011 zu einem besonders interessanten Bestandteil der Bundesgartenschau machte – und im Folgejahr 2012 erneut gut eine halbe Million Besucher anlockte. Schließlich liefen Sanierung, Restaurierung, Neuerschließung der baulichen Festungssubstanz schon Jahre bevor in Koblenz der erste Bagger zwecks BUGA-Vorbereitung anrückte. Und die Idee, das alte Preußenbollwerk vom selbstgenügsamen Denkmal mit schöner Aussicht umzurüsten zur offenen Erlebniswelt zeitgemäßer Geschichtsvermittlung wie zum Kultur- und Freizeitraum, auch diese Idee ist älter als die Gartenschau. Allerdings wäre die Umsetzung ohne BUGA wohl erst 2015, 2020 oder nach später so weit gewesen wie sie heute ist. Wenn überhaupt, angesichts der allfälligen Finanznöte Öffentlicher Haushalte.

Die Bundesgartenschau Koblenz fungierte als Katalysator, der den Wandlungsprozess der Festung zur „Kultur-Festung“ schier explosionsartig beschleunigte. Seit klar war, dass das Plateau des Ehrenbreitstein Gartenschau-Areal werden würde, sahen Landesregierung und Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) Rheinland-Pfalz die Chance, die in ihrem Besitz befindliche historische Liegenschaft Festung in bislang nie dagewesener Weise einem denkbar breiten und großen Publikum zu präsentieren, nahezubringen. Die BUGA hat dafür allerhand Innovationskräfte motiviert und gebündelt, dank ihr wurden auch beträchtliche Finanzmittel des Landes (45 Millionen Euro) für Sanierung, Pflege, Innenausbau und Nutzungsentwicklung der Festung Ehrenbreitstein mobilisiert und zeitlich konzentriert.

Denn im vorherigen Zustand fehlte dem Gemäuer noch allerhand, um im 21. Jahrhundert als attraktives, denkwürdiges Besuchsziel reüssieren zu können. Wir erinnern uns an Festungsbesuche in 1980er/90er Jahren: Oben durchs Feldtor rein, auf dem Hauptweg zwischen  hohen Mauern und durch düstere Tunnel vor auf den Schlosshof, ein Blick ins Tal, vielleicht noch 'ne Tasse Kaffee; Schluss. Ein kleiner Ausflug, ein kurzer Spaziergang nur – angelegentlich bereichert durch einen Abstecher ins Landesmuseum und/oder ab 2003 zur archäologischen Ausstellung in der Contregard rechts.

Das zentrale Problem des Statusquo ante war die Nichtzugänglichkeit weiter Festungsbereiche für die Öffentlichkeit; vor allem waren die Innenräume der meisten Gebäudetrakte für Publikumsverkehr nie gedacht und auch nie entsprechend hergerichtet worden. Dem Besucher blieb so der Gesamtorganismus, den die preußischen Festungsbaumeister einst im Auge hatten, ebenso unbegreiflich wie die Lebenswelt früherer Festungsbewohner/-besatzungen verschlossen. Oder anders formuliert: Die große historische Erzählung, die an der alten Anlage (und ihrem Untergrund) haftet, konnte in ihrer Ganzheit den Nachgeborenen nicht wirklich erzählt werden. Kurzum und etwas überspitzt: Die Festung Ehrenbreitstein war in eigener Sache bis zum BUGA -Impuls zumindest für den historischen Laien ein ziemlich stummer Geschichtszeuge – obendrein für museale Unternehmungen und Veranstaltungszwecke nur eingeschränkt nutzbar.

Welche Potenziale tatsächlich in der ehemaligen Preußenfestung stecken, ist nach Abschluss der Bauarbeiten und bei Wiedereröffnung zusammen mit dem BUGA-Start 2011 signifikant geworden. Selbst Kennern der Festung fielen, sprichwörtlich, die Augen aus dem Kopf, als sie auf dem neuen „Weg zur Festungsgeschichte“ erstmals in ihrem Leben durch das Innere des Turm Ungenannt und der Langen Linie flanieren konnten. Als sie über wiederhergestellte Brücken die Kanonengänge und logistischen Verbindungswege auf den höheren Festungsniveaus abschreiten und das System verstehen konnten. Als sie in die Tiefen unter der Hohen Ostfront hinabsteigen konnten, um in der dortigen archäologischen Grabungsstätte 3000 Jahre Befestigungsgeschichte des Ehrenbreitstein zu „spüren“. Und von Schritt zu Schritt stießen die Besucher auf sinnlich erfahrbare geschichtliche Erhellung, vermittelt anhand vielfach szenisch zusammengestellter historischer Exponate und Repliken am originalen  Ereignisort, nebst begleitenden Erläuterungen durch moderne Medien. Was 2011 das Publikum in Staunen versetzte und entzückte, ist nach Abschluss der Gartenschau dauerhafter Basisstandard der Infrastruktur und der Angebotspalette auf der Festung geblieben. Und: Die Standards werden seither ständig fortentwickelt und optimiert.

So installierte die GDKE beispielsweise im ersten Folgejahr (2012) nicht nur einen neuen Festungsparkplatz nebst Entreepavillon, sondern auch ein neues Besucher-Leitsystem entlang einer neu konturierten Gesamtstruktur. Ausgangspunkt dabei war die Überlegung: Die Infrastruktur der historischen Festung gleicht  derjenigen einer Kleinstadt. Es gibt eine „Hauptstraße“ vom Feldtor zum Oberen Schlosshof. An ihr liegen zentrale Einrichtungen und auch repräsentative Gebäude. Von ihr zweigen „Nebenstraßen“ ab, die zu Wohnquartieren, Arbeitsstätten und vielerlei logistischen Anlagen der Festungs-„Stadt“ führen. An dieser Struktur orientiert sich das Leitsystem mit zwei auch farblich  unterschiedenen Routen (rot und blau) durch die Festung. Jeder Besucher bekommt heute beim Eintritt einen Festungsplan zur Hand, mit dessen Hilfe er sich auf einen historischen Rundweg begeben oder wahlweise spezielle Ausstellungszentren direkt ansteuern kann: „Haus der Fotografie“,  „Haus des Genusses“, „Haus der Archäologie“, Landesmuseum Koblenz mit ihren Dauer- und regelmäßigen Wechselausstellungen. Obendrein kann, wer möchte, sich seither von einem Audioguide führen lassen.

In summa bedeutet das ganz praktisch: War vor dem BUGA-Jahr der Abstecher auf den Ehrenbreitstein ein kleiner Ausflug von ein oder zwei Stunden, so lässt er sich heute problemlos zum prallgefüllten, ebenso interessanten wie erlebnisreichen und kurzweiligen Tagesausflug ausdehnen. 

Gefragt, was für ihn das Wichtigste am jüngsten Wandel der Festung sei, könnte GDKE-Chef Thomas Metz eine lange Litanei anstimmen: Von der neuen Attraktivität der Festung durch ein breites Präsentations- und Ausstellungsspektrum über Niveauanhebung/Verbreiterung des gastronomischen Angebots und ein vielfältiges, alle Bevölkerungsschichten und Altersklassen ansprechendes Veranstaltungs- und Ereignisprogramm bis zur touristisch-ökonomischen Bedeutung für Stadt und Region. Das und mehr könnte er, tut es bei mannigfacher Gelegenheit natürlich auch. Aber als „das Wichtigste“ benennt Metz in ruhigem, nachdenklichem Moment: „das Gefühl, durch die Häuser der Festung gehen zu können. Wir wollten die Festung für die Menschen öffnen, und jetzt ist sie offen.“ Auf diesen schlichten Nenner bringt er, was tatsächlich Grundlage aller übrigen Entwicklungen, Bemühungen, Erfolge auf dem Ehrenbreitstein ist.

Viele Hunderttausend Besucher hatten die Festung während der BUGA 2011 als kundig, munter und spannend von Geschichte, von Land, Kultur, Leuten heute und über diverse Zeitalter erzählendes „offenes Haus“ erlebt. Sie sind von Ausstellung zu Ausstellung flaniert, vom Gang durch die Festungsgeschichte zur Rheinland-Pfalz-Präsentation,  zur Archäologie-Ausstellung und den Zeitgärten auf deren Dach, zur Lenné- und zur Grabkultur-Schau und und und. Die Auswärtigen haben bei ihrem Tagesbesuch die Anlage en passant auch als reizvolle Location für unterschiedlichste Veranstaltungen kennengelernt. Den Einheimischen ist sie bei mehrfachen oder vielfachen Besuchen als örtlicher Freizeitraum und weiteres Kulturzentrum ihrer Stadt/Region ans Herz gewachsen, ja selbstverständlich geworden. Und das so sehr, dass im Jahr danach schon fast vergessen war, welch gewaltigen Entwicklungssprung die Festung Ehrenbreitstein von der Prä-BUGA-, zur BUGA- und in die Post-BUGA-Zeit gemacht hat.

Wie erstaunlich dieser Sprung ist, zeigt beispielsweise eine stichprobenartige Besucherbefragung des Kölner Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung (ift) während der BUGA. Ein Mehrheit der Befragten gab seinerzeit an, dass die Festung für Besuche mit Familie und Freunde sehr gut geeignet sei. 70 Prozent meinten gar, die Festung  biete so viele Attraktionen, dass man sie an nur einem Tag gar nicht alle besichtigen könne. So der Eindruck während der Gartenschau, der sich doch grundsätzlich von Eindrücken aus der Zeit davor unterscheidet. Wie aber gestaltet sich die Lage, seitdem die BUGA vom Festungsplateau und aus der Festungsanlage selbst verschwunden ist, seit der Ehrenbreitstein seine Attraktivität für Publikum wieder aus der eigenen Kraft beziehen muss? Weit mehr als eine halbe Million Besuche im ersten BUGA-Folgejahr 2012 sind für Thomas Metz „ein sehr erfreuliches Ergebnis“ und Beleg dafür, dass das GDKE-Langfristkonzept stimmt. Zumal 446 000 Besucher zur eintrittspflichtigen Zeit tagsüber in die Festung kamen (etwa 80 000 zusätzlich in den eintrittsfreien Zeiten).

Mit rund 380 Veranstaltungen bereicherte die GDKE und ihr gastronomischer Partner Café Hahn sowie zahlreiche Vereine, Gruppierungen, Institutionen, Firmen die Festungssaison 2012 darüber hinaus.  Die Palette reichte von museumspädagogischen Mitmach-Angeboten, Historienspielen und Erlebnistagen über Vorträge, Weinproben, Lesungen, Kammer- und Orchesterkonzerte  bis hin zu großen Festivals oder Open-Air-Kino. Für die rheinland-pfälzische Kulturministerin Doris Ahnen ist die Entwicklung der Festung Ehrenbreitstein „ein Paradebeispiel dafür, wie ein Denkmal erfolgreich mit Leben erfüllt werden kann.“ Anlässlich der 2012er-Bilanz erklärte sie: „Ich bin zuversichtlich, dass das im Vorfeld der BUGA entwickelte neue Ausstellungs- und Veranstaltungskonzept auch künftig einen großen Anreiz für Besucherinnen und Besucher bietet.“ Und Thomas Metz meint, dass mit den Angeboten der Festung nicht zuletzt für die Bevölkerung in Koblenz und Umgebung ein weiteres Kulturzentrum entstanden sei. Für 2013 hat er deshalb ein ähnlich opulentes Veranstaltungsprogramm avisiert wie 2012.

Für die Beurteilung der Nachhaltigkeitswirkung der Koblenzer BUGA 2011 ergibt sich im Falle der Festung Ehrenbreitstein zum jetzigen Zeitpunkt (Übergang vom ersten Folgejahr 2012 zum zweiten Folgejahr 2013) folgendes Resümee:
Erstens ist die Festung beim derzeitigen Entwicklungs- und Nutzungsstand für auswärtiges und heimisches Publikum ein lohnenswertes Besuchsziel  – gleichermaßen kulturhistorisch interessant wie von hohem Freizeitwert. Zweitens stellt sie so eine gewichtige Bereicherung für die Anziehungskraft der gesamten Region dar. Schließlich drittens: Die „geöffnete“ Festung zeigt sich als hervorragend gesichertes, gepflegtes, belebtes historisches Zeitzeugnis, das dauerhaft quasi als ein Zentrum für die Vermittlung der geschichtlichen Bedeutung der Rhein-Mosel-Region fungieren kann. Diesem letzten Punkt misst der Autor besonderes Gewicht bei. Denn wir sind nicht nur als touristische Gastgeber Nutznießer einer wunderschönen Landschaft am nördlichen Tor zum romantischen Mittelrhein.

Uns ist zugleich die Sicherung, Erforschung, Pflege, Weitergabe und Verbreitung eines außerordentlichen Menschheits-Erbes aufgegeben: Die große Erzählung über die Region an Rhein und Mosel, die bereits in der Frühgeschichte wichtiger Siedlungsraum war und seit der römischen Antike vielleicht nicht Treibsatz, aber doch geographische Nahtstelle und unmittelbarer Zeuge großer Geschichtsentwicklungen in Europa war – an der Grenze zwischen Germanien und  Imperium Romanum; am Schnittpunkt der mittelalterlichen Machtzentren Aachen/Köln und Worms/Speyer/Mainz; im Spannungsdreieck zwischen oft verfeindeten Erzbistümern und Kurfürstentümern; im preußisch-bayerisch-hessischen Überlappungsbereich der Hohenzollern, Wittelsbacher, Nassauer; an der Bruchlinie zwischen Feudalismus und Französischer Revolution; an der unseligen Front zwischen Deutschland und Frankreich; im gedanklichen Geburtszentrum der jüngsten deutschen Demokratieverfassung.

Nie zuvor war diese Erzählung über unser Herkommen und Werden so frei von nationalistischen Verfärbungen, so umfassend, für jedermann verständlich und sinnlich erfahrbar wie mit der im BUGA-Umfeld erreichten Präsenz-Form nicht nur der Festung. Im Zuständigkeitsbereich der GDKE erfüllt nahebei Schloss Stolzenfels nach weitgehender Sanierung der Bausubstanz und Wiederherstellung seiner historischen Gartenanlagen die Aufgabe, das Kapitel vom preußischen Prinzentraum einer Romantiklandschaft am Mittelrhein und seinen noch immer spürbaren Folgen zu erzählen.

Vom Kölner Dom über die Trierer Antikenstätten, den rheinischen Limes, die Sayner Hütte und die mittelrheinische Burgenlandschaft reicht eine gewaltige historische Brücke zu den Domen und jüdischen SchUM-Gemeinden in Mainz, Speyer, Worms bis zu den salischen und staufischen Burgen in der Pfalz. Und mittendrin steht das 2000-jährige Koblenz als alles zusammenhaltender Brückenpfeiler. Die Festung Ehrenbreitstein lässt sich in ihrer jetzigen Form als dessen höchste Plattform verstehen. Und es kann nun, wer will, von dort aus bald die gesamte Erzählung über diesen Jahrhunderte hindurch maßgeblich prägenden Zivilisationsraum in der Mitte Europas lesen.
                  
Von allen Folgewirkungen der BUGA mag das vielleicht die dauerhaft bedeutendste sein – wenn die daraus erwachsenden Pflichten und Chancen auch dauerhaft und weiterhin ernsthaft wahrgenommen werden.                                         Andreas Pecht


Dieser Artikel ist im Dezember 2012 als Beitrag im Band 3 der Dokumentation zur Bundesgartenschau BUGA Koblenz erschienen. Der vom Garwain Verlag herausgegebene Band trägt den Titel BUGA Koblenz: Was bleibt? Veränderungen und Nachhaltigkeit in der Region Mittelrhein (208 Seiten, 20 Euro)


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