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2013-02-19 Ballettkritik:

Ballett „True or not True“ in Wiesbaden:
unverständlich, gekünstelt, langweilig


Stephan Thoss verrennt sich in Tiefenpsychologie
 

 
ape. Wiesbaden. Stephan Thoss macht manchen Ballettfreund, der seiner Arbeit lange durchaus wohlgesonnenen war, zusehends ratlos. Denn der Chef des Balletts am Wiesbadener Staatstheater ist leider auf dem besten Wege, sich zu verrennen – mit einer Art tiefenpsychologischem Tanztheater, das in mystischem Manierismus ertrinkt und für den Zuseher nicht mehr begreifbar ist. Mit der Uraufführung seines neuen Stück „True or not True“ erreicht diese Entwicklung jetzt ihren vorläufigen Höhepunkt: eine durch 90 langweilige Minuten mäandernde Abhandlung über innerlich zerrissene, multiple Gestalten zwischen Wahn und Wahnsinn.
 

Foto: Kaufhold

Dabei avisiert das Programmheft sogar ein Handlungsballett. Die abgedruckte Story bleibt allerdings schon beim Lesen undurchschaubar. Zu arg verquirlen sich da Mutter- und Geliebtenmord, Wiedergängerei und Seelenwanderung, Persönlichkeitspaltung und -verschmelzung, Visionen und Symbolismen auf mehreren erst parallelen, nachher irgendwie sich kreuzenden Metaebenen. Vollends vergeblich ist es, das verquaste Konstrukt im wortlosen Tanz erfassen zu wollen.

Unschwer zu erkennen sind etliche Anspielungen auf Hitchcock-Filme, insbesondere „Psycho“ und „Vertigo“. Elemente aus deren Soundtracks sind Teil einer Musikmontage, die ansonsten aus Stücken von Schnittke bis Kurtág besteht und vom Orchester des Theaters unter Wolfgang Ott beigesteuert wird. Aber das verleiht der Choreografie auch nicht wirklich Sinn. So gibt es der Betrachter bald entnervt auf, das Drama inhaltlich ergründen zu wollen, und er tut, was den Besuch beim Wiesbadener Ballett schon mehrfach rettete: sich konzentrieren auf den puren Tanz.

Das lohnt, denn die Thoss-Compagnie ist tanztechnisch eine der besten im Südwesten, ihr Repertoire an interessanten und intensiven Figuren reich. Allerdings kennt es der regelmäßige Besucher inzwischen zu gut, um in der langen Strecke über eineinhalb Stunden nicht Variationen des Immergleichen zu erkennen und daran zu ermüden. Nirgends ein erstaunender Blickwinkel oder wenigstens neuer ästhetischer Aspekt. Der Tanz wirbelt auf technisch hohem Niveau, aber ohne dramatische Mitte und Ziel im Endlosstrom dahin. Die Thoss'schen Menschen arbeiten sich nur wieder und wieder ab an düsteren Psychogeistern ihrerselbst und diesem fast zur Manie gewordenen Sujet ihres Meisters.

In „True or not True“ lässt sich alles oder gar nichts hineindeuten. Das nennt man Beliebigkeit. Davon kann im zweiten, wesentlich kürzeren Abendteil keine Rede sein: der von Wiesbadener Tänzern übernommenen berühmten Choreografie „Walking Mad“ des Dänen Johann Inger, 2001 vom Nederlands Dans Theater uraufgeführt. Das ist eine in ihrer Dichte, tänzerischen Raffinesse und stringenten Strukturiertheit berückende Arbeit. Mit Witz und Ironie, zugleich mit Herz und Hintergründigkeit werden darin zu Maurice Ravels „Boléro“ und Arvo Pärts „Für Alina“ vor, hinter, mit einer breiten Bretterwand Aspekte der Beziehungen zwischen drei Frauen und fünf Männern ausgeleuchtet. Eine große halbe Stunde voller Überraschungen, Staunen, Einsichten, Lachen und Anrührung. So geht’s auch.                                Andreas Pecht

Infos: www.staatstheater-wiesbaden.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 19. Februar 2012)

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Weitere Kritiken zu anderen Thoss-Abenden in jüngerer Zeit:

2012-10-30: Ballettabend "Made in Love" mit neuen Choreographien von Stephan Thoss u. Giuseppe Spota

2012-02-29: Stephan Thoss verhebt sich in Wiesbaden an "Romeo und Julia"

2011-10-31: "Magisches Kaleidoskop" - Neue Tanzproduktion in Wiesbaden

2011-02-13 Ballettkritik:
"Blaubarts Geheimnis", Choreographie von Stephan Thoss in Wiesbaden


2010-11-01a Ballettkritik:
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2010-04-12a: Stephan Thoss macht aus dem Märchenballett "Dornröschen" ein intensives Tanzdrama für Erwachsene


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