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2013-03-09b Musikwelt / Reihe "Nach Dienst":

 

Der Südtiroler mit der dicken Tuba

Michael Engl ist seit 2011 Tubist der Rheinischen – Nach Dienst in Volksmusik und Jazz engagiert


ape. Koblenz. Unsere Artikelreihe „Nach Dienst“ ist den nicht immer alltäglichen Hobbys und Passionen von Musikern des Staatstorechesters Rheinischen Philharmonie in Koblenz gewidmet. Die vergangene Folge berichtete über ein Hobby von gleich zwei Dutzend Orchestermitgliedern: gemeinsam Fußball spielen. Diesmal richtet sich das Augenmerk auf Michael Engl – den Mann mit der Tuba, der in seiner Freizeit türkische Volksmusik und Alpenjazz spielt oder im Münchener Hofbräuhaus bayerisch „muckt“.
   
                                     


Wäre da nicht dieses Foto (s.o.) mit sieben bajuwarischen Volksmusikanten auf dem Cover der „Blechbriada“-CD, man möchte kaum glauben, dass der 31-Jährige häufig in Lederhosen und Jankerl vor Publikum tritt, dass er unter anderem im Münchener Hofbräuhaus zusammen mit Freunden Musi macht. Michael Engl bewohnt ein winziges Appartement in Koblenz-Neuendorf, hat einen italienischen Pass in der Tasche, aber alpenländisches Deutsch auf der Zunge. Kurzum: Der Mann mit der sehr kurzen Kurzhaarfrisur ist ein Südtiroler, den es 2011 beruflich zur Rheinischen Philharmonie ans Rhein-Mosel-Eck verschlagen hat.

Wie er in seinem Stübchen auf zwei Computerbildschirmen virtuos mit eigenen Dateien und Internet-Zugriffen jongliert, nebenher via Smartphone mit Bekannten in München, Köln, Hamburg kommuniziert, darf er als typischer Vertreter seiner Generation gelten: vernetzt, weltläufig, urban. Der junge Mann ist Tuba-Spieler, offizielle Berufsbezeichnung „Tubist“, nicht etwa „Tubaist“. Als solcher besetzt er in der Orchesteraufstellung gewöhnlich den äußersten Platz rechts hinten, in den Armen dann einen der beiden dicken Brummer von Instrument, die sich im Neuendorfer Zimmerchen auf dem knappen Raum zwischen Bett, Elektronikschreibtisch, Schrank und Kochnische breitmachen.

Beim Besuch dort haben wir eine Menge Fragen zum tiefsten der Blechblas-Instrumente, über das mancher Klassikfreunde gemeinhin weniger weiß als über die Tieftöner in der Streicherzunft, die Kontrabässe. Engl lässt sich nicht lange bitten und demonstriert livehaftig, was mit seiner F- und mit seiner B-Tuba möglich ist. Puste, ja gewiss, die braucht's schon. Aber die sprichwörtlich aufgeblasenen Backen sind weder das Wesentliche no ch die Regel beim Gang durch Naturtonreihen und per Ventileinsatz geteilte Schwingungssäulen, beim Weg hinauf in eben noch erreichbare Höhen oder hinunter in knarzende Tiefen, wo das Ohr des Laien Tonunterschiede kaum noch wahrnimmt. Das Gefühl für die Eigenarten der großen, vielfach gebogenen Metallröhre ist wichtiger als pure Blasekraft.

„Die Tuba im heutigen Sinn gibt es erst seit 1835“, erklärt Michael Engl, einziger Vertreter seines Fachs bei der Rheinischen. Das ist auch der Grund dafür, dass es vergleichsweise wenige klassische Tubisten gibt und sie weniger häufig zum Einsatz kommen als Streicher, Holzbläser oder die übrigen Blechbläser: Das ältere Orchesterrepertoire hat einfach keine Tuba-Stimmen. Gleichwohl ist die Zahl der Tubisten weit größer als das Angebot an Orchesterstellen. „Bei manchen Proberspielen“, erinnert sich Engl, „hat man es mit mehreren Dutzend Kollegen zu tun.“ Darunter durchaus auch Kolleginnen: Die Tuba ist längst keine ausschließlich männliche Domäne mehr.

Der Koblenzer Tubist aus Südtirol ist spät zu seinem Instrument gekommen, vor zehn Jahren erst. Er hat es in Innsbruck und München studiert, nachdem ihm klargeworden war, dass das zuvor begonnene Architektur-Studium seine Sache nicht ist. Woher kommt die musikalische Ader? Wie bei so vielen Bläsern liegen die Wurzeln im Volksbrauchtum, bei den örtlichen Musikvereinen – „die es bei uns daheim in jedem Dorf gibt, manchmal gleich mehrere“. In einer Blaskapelle von Engls Heimatort Kiens (Pustertal) spielte schon der Vater Flügelhorn. Dort stieg der Sohn als Kind mit der Trompete ein, bis es dem Verein an Euphonium-Spielern mangelte, Michael deshalb für ein gutes Jahrzehnt dieses Blechblas-Instrument – Mischung zwischen böhmischem Bariton und Tuba –  spielte und es damit auch zu mehrfach ausgezeichneten Erfolgen brachte.

Die Verbindung zur Volksmusik war also steter Teil seines Lebensweges. Sie blieb es während des klassischen Tuba-Studiums und begleitet den mit ganzer Stelle bei der Rheinischen Philharmonie engagierten Musiker auch heute noch durch seine Freizeit. Wie kann ein Klassik-Musiker sich mit  Volksmusik abgeben? Diese bisweilen mit naserümpfendem Unterton an ihn herangetragene Frage  ist für Michael Engl schier unbegreiflich: „Viele klassische Komponisten haben volksmusikalische Motive und Einflüsse in ihren Werken verarbeitet, deshalb gibt es für mich kein Entweder-Oder. Es ist sogar eine große Bereicherung, das unkomplizierte und ungekünstelte Lebensgefühl, wie es in echter Volksmusik, nicht dem verpopten und verschlagerten Zeug, zum Ausdruck kommt, erfahren zu dürfen.“

Dann erzählt er von dem Spaß, auch den Herausforderungen des Volksmusik-Spiels für ihn als Tubisten. Einen Teil seines Studiums finanzierte er mit Unterricht an der Musikschule in Reutte/Tirol, wo er heute noch gelegentlich ein paar Stunden gibt. Den anderen Beitrag zum Lebensunterhalt brachten dem Studenten Engl „Mucken“ ein, Auftritte zusammen mit Kommilitonen und befreundeten Musikern als volkstümliche Musikanten in Wirtshäusern, Bierzelten oder eben im Hofbräuhaus. „Eine gute Schule ist das. Da musst du auswendig spielen, Musik im Blut haben, mit Gespür auch die improvisatorischen Freiheiten nutzen, die sich gerade für die Tuba bieten; das muss richtig grooven.“

Daraus entstand die siebenköpfige Kapelle „Blechbriada“ mit Engl in der Bass-Rolle. Die pflegt bis heute traditionelle böhmische und alpenländische Volksmusik, mischt darunter auch eigene Arrangements mit Ausflügen bis in den Jazz. Wenn die Mucke ruft und der Koblenzer Dienstplan es zulässt, sitzt der Tubist im Auto 'gen Süden. Und er sitzt viel im Auto, nicht nur wegen der „Blechbriada“. Seit 2008 wirkt er zudem bei der „Unterbiberger Hofmusik“ mit, einem Crossover-Ensemble aus dem Münchner Raum. Die Formation um die Musikerfamilie Himpsl mischt bayerische Volksmusik mit Jazz, verfolgt daneben auch andere interessante Ansätze. In jüngeren Jahren machte sie auf sich aufmerksam mit Verbindungen zwischen alpenländischer und brasilianischer, neuerdings auch türkischer Volksmusik.

„Ich brauche das einfach, diese Vielfalt und Freiheit, dieses ganz Andere neben der strengen Klassik“, erklärt Engl. Und so wundert es nicht, dass der Tubist jüngst auch den Weg an die Seite des Experimental-Jazzer Matthias Schriefl gefunden hat, etwa für dessen Jazz-Krippenspiel im Kölner arttheater. „Bei dem musst du dann auf alles gefasst sein. Da wird nicht nur die Tuba extrem gefordert, sondern bisweilen obendrein Theaterspiel, Sprechen, Singen und anderes verlangt.“ Geheuer waren Michael Engl manche dieser Anforderungen anfangs nicht, aber dem Reiz der innovativen Kunst und den Möglichkeiten für sich selbst, daran zu wachsen, kann und mag er sich nicht entziehen.

Bleibt abschließend die profane Frage, warum seine beiden fünfventiligen Tuben (Tubas wäre laut Lexikon falsch) nicht metallisch glänzen, sondern stumpf und fleckig fast schmutzig wirken. Engl lacht: „Die zwei sind Unikate, nach meinen Wünschen für ziemlich viel Geld eigens gebaut. Unlackiert, weil sie meines Erachtens – das mag subjektiv sein – so besser klingen als die glatten Instrumente. Und ganz praktisch: Wenn mal 'ne Delle reinkommt, was bei den dicken Dingern ja leicht passieren kann, lässt sich das reparieren, ohne dass gleich die gesamte Oberfläche neu bearbeitet werden muss. Überhaupt: Ich mag meine Instrumente einfach wie sie sind.“ Was schließlich Voraussetzung dafür ist, das Optimale aus ihnen herauszuholen, sei es für die Klassik, für den Jazz oder für die „echte“ Volksmusik.        
                                                                                    Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
Woche 10 im März 2013)

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Bisher erschienene Folgen der Reihe "Nach Dienst":

2012-10-04a:
Sport, Spiel, Spaß - Orchesterfußball bei der Rheinischen Philharmonie


2012-03-13c:
Klarinettist Paul Schmitt betreibt "nach Dienst" seit 20 jahren einen Verlag


2011-10-11:
Fagottist Michael Rohland wird "nach Dienst" zum Denkmalpfleger


2011-02-10b:
"Cello-Mieze" Marlies Köhn kümmert sich "nach Dienst" um Musiker-Cafeteri
a

2010-10-05b:
In der Reihe "Nach Dienst: Ursual Blobel zwischen Kontrafagott und Klangschalen-Massage


2010-04-01a:
"Nach Dienst": Der Orchestertrompeter Andreas Schaaf als Fußballtrainer


2009-10-12 Musikwelt:
Fagottist Niko Maler macht "nach Dienst" aus der Not eine Tugend



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