Kritiken Theater
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2012-06-05 Schauspielkritik:

Ballett "Romeo und Julia" am Theater Koblenz von Steffen Fuchs auf 90-minütigen Kern konzentriert


Mehr auf die Ausdruckskraft des Tanzes selbst zu setzen, wäre gut
 

 
ape. Koblenz. Das spätromantische Großballett „Romeo und Julia“ von Sergej Prokofjew, am Theater Koblenz jetzt musikalisch wie inhaltlich auf einen 90-minütigen Kern reduziert: Die jüngste Tanzproduktion von Steffen Fuchs gefällt mit vielen interessant gearbeiteten Momenten. Nimmt man die Choreografie wirklich ernst, was sie verdient, dann sind einige Aspekte allerdings auch strittig zu würdigen.
 

Sinnig und sinnlich das Raumkonzept von Lucia Becker: Auf der offenen Hinterbühne ist die Rheinische Philharmonie in opulenter Romantikbesetzung platziert – und liefert unter Enrico Delamboye eine Leistung, die auch als Konzert bestehen könnte. Wie in einem Ballsaal erstreckt  sich davor freie Tanzfläche – unter Leuchtern indes, deren fast grobe Machart eher auf britannisches Mittelalter denn italienische Renaissance verweist. Damit korrespondierend die Kostüme von Sasha Thomsen: In uniformem, düsterem, ledern bis metallen wirkendem Graublau, signalisieren sie eine Lebensweise in normativer Strenge und Enge, der nachher bekanntlich die Liebenden zum Opfer fallen.

An einem Teilaspekt der Kostüme müssen sich in der Ballettsphäre jedoch die Geister scheiden. Bodenlange Röcke machen bei den Damen zwar einen hübschen Fließeffekt, geopfert wird dafür aber die Sicht auf deren Fuß- und Beinarbeit. Was schade ist, weil dem Zuseher so der komplexe Aufbau vieler Fuchs'schen Figuren vorenthalten wird und dem Tanz ein Teil seiner ureigenen Ausdruckskraft genommen. Mehr Vertrauen in diese Kraft wünscht man sich auch dort, wo die Akteure fürs Gefühl allzu sehr auf theatralische Mimik und dramatische Stummfilmposen setzen.

Solch antiquierten Manierismus haben weder der Choreograph noch die Compagnie nötig, wird in anderen Passagen mannigfach erkennbar. Etwa in den großen Formationen. Da flechten Frauen und Männer eine untergründige Aggressivität ins Miteinander, als stünden die Geschlechter sich feindlich gegenüber wie bei Shakespeare die beiden Veroneser Familien. Oder streckenweise auch in den Soli und Pas de deux der Titelfiguren.

Zwar bleibt Rory Stead (Romeo) am Premierenabend unter seinen Möglichkeiten und einer recht technischen Umsetzung verhaftet. Dafür lässt Iskra Stoyanova als Julia mit viel Talent die Möglichkeiten rein ballettöser Gefühlsintensität aufscheinen: in Elementen klassischer Grazie, in deren neoklassischer Weiterung sowie in frei-assoziativer Brüchigkeit. Man sollte die junge Frau im Auge behalten, da kann sich noch einiges entwickeln. Das gilt auch für Kaho Kishinami und Yao-Yi Hsu. Sie setzen Fuchs' Idee von einem nach Shakespeare-Art komischen Zweitpaar aus  Amme und Mercutio in versierter Keckheit um.  

Am deutlichsten wird die Überflüssigkeit des außertänzerischen Posens bei der Lady Capulet von Irina Golovatskaia. Diese Tänzerin, die mittlerweile als Grande Dame der Compagnie gelten darf, entreißt auch die kleinste ihrer Bewegungen der bloßen Tanztechnik, lädt sie mit Bedeutung und Emotion auf. Aber als sei das nicht genug, aus Lady Capulet hier ein gestrenges Sinnbild liebesfeindlicher Konvention zu formen, packt sie eine fette Portion alttheatralisches Pathos drauf – das ihren wunderbaren Tanzausdruck schier verdirbt.

Beklatscht wurde die Premiere lang und laut. Was durchaus seine Berechtigung hat, denn es ist nach örtlichen Maßstäben ein schöner Abend. Die ballettkünstlerischen Potenziale von Fuchs und Compagnie sind freilich viel, viel größer.  Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-koblenz.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 25. März 2013)

                                                ***

Nachtrag am Spätnachmittag 25.3.2013, weil in ersten Reaktionen auf die Kritik ein Missverständnis hinsichtlich der "bodenlangen Röcke" aufgetaucht ist:

Ich spreche solchen Kostümformen nicht grundsätztlich die Existenzberechtigung im Ballett ab. Wir kennen viele bedeutende Arbeiten, in denen das Element der Körperverhüllung, Konturverfälschung und bewegungsverfremdenden bis entmenschlichenden Maskerade bewusst mitchoreografiert ist. (Wie es auch Steffen Fuchs beispielsweise beim Bauerntanz im ersten Teil seiner "Giselle" mit schweren Schnürschuhen oder im Korngold-Teil von "An Stelle von Heimat" mit historisch "schicklich"  verdeckenden Jungfernkleidern machte) Das scheint mir bei "Romeo und Julia" in Koblenz allerdings nicht der Fall. Vielmehr lässt sich aus dem Wenigen, das man trotz des schwingenden, undurchsichtigen Langtuches sieht, erahnen, dass unter den bodenlangen Röcken eine Fuß- und Beinarbeit geleistet wird, deren Sichtbarkeit erheblich mehr zur ballettösen Ausdruckskraft beisteuern könnte, als es der zwar hübsche, aber rasch auch verbrauchte Fließeffekt der Langröcke tut.  

Weshalb das neoklassische Ballett weithin auf knielange, allenfalls wadenlange Röcke setzt, wenn der Fließeffekt gewünscht ist, aber zugleich auch Fuß- und Beinarbeit als konstitutive Tanzelemente sichtbar bleiben sollen.  Ähnliches galt übrigens schon für das klassische Ballett: Entweder ließ das Tutu als bloßer Hüftkranz die Beine ganz frei oder es war in seiner Langform halbtransparent und endete am Knie, spätestens auf halber Wade.  (ape)  


---------------------------------------------------------
Wer oder was ist www.pecht.info?
---------------------------------------------------------


Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 

eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken