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2013-03-26 Schauspielkritik:

Schillers "Räuber" in Bonn (Regie: Niklas Ritter) und zuvor in Frankfurt, Mainz, Koblenz


Die neuen Räuber
wollen doch nur spielen
 

 
ape. Bonn/Großregion. „Die Räuber“ werden seit der Uraufführung 1782 in Mannheim von fast jeder Generation  wieder aufgegriffen. Denn das seinerzeit vom 20-jährigen Studenten Friedrich Schiller verfasste Stück gibt wie kaum ein anderer Theaterklassiker Raum, jeweils aktuelle Verwerfungen zwischen etablierter Gesellschaft und ihrer Jugend radikal zu thematisieren. In jüngerer Zeit steht das Werk wieder mal gehäuft auf den Spielplänen, nahebei zuletzt in Frankfurt, Mainz, Koblenz und seit diesem Wochenende auch am Schauspiel Bonn.
 

Ein interessantes Phänomen kennzeichnet die jüngste Durchlaufphase des Stückes: Anders als noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schafft kaum ein Regisseur die Zuordnung der Räuberbande zu einer gegenwartstypisch prägnanten Renitenzkultur. Bei Niklas Ritter bildet sich jetzt in Bonn die Bande zuerst als historisch kostümierte, musikalische Comedytruppe unter Karl Moor (Hendrick Richter in beiläufiger Lakonie) heraus. Nachher nehmen deren Gewaltexzesse die Form durchgeknallten Gesudels mit Matschfarben und Theaterblut an, Splatter-Anleihen wie Selbstkastrierung, Leibaufschlitzung oder Enthauptung inklusive.

Mag sein, das ist – ähnlich der entfesselten Mordbrennerei im Original – als Provokation wider gesetzte Bürgerlichkeit gedacht. In Bonn verpufft der Effekt. Im Saal wird gekichert und geprustet, weil die Inszenierung den augenzwinkernden Impetus „wir spielen doch nur“ nie los wird. Den gibt sie gleich zu Anfang vor, indem Szenen aus dem Moor'schen Vaterschloss in eine winzige Vitrine gequetscht werden. Dort haust der alte Graf (Günter Alt) als greinender, grantelnder, boshafter Greis. Der fordert von Amalie (Ines Schiller als starke, sinnliche Frau) schon mal das Auspacken der Brüste, wird von Sohn Franz (Arne Lenk) in kühler Geschäftsmäßigkeit gefüttert und schließlich abserviert.

Das erinnert an Puppenspiel. Die Schlusszene mutiert dann vollends zum Kasperltheater: Die Protagonisten treten unter Schwellköpfen von Kapser, Gretel, Räuber, Krokodil zum finalen Erschlagen an. Das sind in toto zweieinhalb recht gut gespielte, effektvoll hergerichtete und in sich durchdachte Theaterstunden. Was aber nehmen wir davon mit, außer der Gewissheit, keinen langweiligen Abend verlebt zu haben? Womöglich den Gedanken, dass es Verwerfungen zwischen Mehrheitsgesellschaft und Jugend im Sinne großer Jugendprotestbewegungen nicht mehr gibt. Oder allenfalls noch als tausendfach zerfledderte Trends juveniler Unterhaltungskultur – als Spiel.

Die Koblenzer Inszenierung von Christian Schlüter entzog sich dieser Frage, indem sie der Bande etliche Etiketten aus einstigen „Räuber“-Interpretationen anheftete: von Bauernaufständischen über Burschenschaftler bis 68er-Revoluzzer. In Frankfurt schoss Enrico Lübbe das Stück gleich in eine zeitlose Sphäre antikischen Zuschnitts. Jan Christoph Gockels Mainzer Einrichtung schickte eine Jugendgruppe auf den Dachboden über einem biederen Wohnzimmer, um dort in gruppendynamischem Bubenspiel eine Modelleisenbahnwelt abzufackeln.

Dass Schillers „Räuber“ derzeit auf den Bühnen so präsent sind, deutet darauf hin, dass die Theatermacher die Brüchigkeit der modernen Gesellschaft stark empfinden. Zugleich jedoch spiegelt sich in diversen Inszenierungsansätzen Ratlosigkeit gegenüber einer Gegenwart, die kein Ideal mehr über Geldwerte hinaus kennt – deren Jugend sich in mehr oder minder krassen, im Grunde aber angepassten Spielereien erschöpft.                      Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-bonn.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 26. März 2013)

                                                ***

Zu den Kritiken der übrigen oben angeführten "Räuber"-Inszenierungen:

 2012-12-03 Schauspielkritik:
Schillers Trauerspiel "Die Räuber" in Koblenz. Regie: Christian Schlüter


2011-12-18 Schauspielkritik:
Schillers "Die Räuber" am Staatstheater Mainz. Regie: Jan-Christoph Gockel


2011-09-18 Schauspielkritik:
Schillers "Räuber" in Frankfurt. Regie: Enrico Lübbe



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