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2013-04-15 Musiktheaterkritik:

"Dreigroschenoper" am Theater Koblenz.
Regie: Markus Dietze


Gereinigt und gebügelt
 

 
ape. Koblenz. Es hatte der Herr Bertolt Brecht 1928 ein dreckiges Stück mit unverschämten Songs herausgebracht, um räuberischen Bürgern und bürgerlichen Räubern aufs Haupt zu hauen. Was aber musste der arme BB erleben? An allen Theatern johlten die Herrschaften begeistert ob des Spiegelbildes ihrer eigenen Verkommenheit. Es hat der Herr Markus Dietze dieses Stück jetzt in Koblenz neuinzeniert. Da tragen Bettler feines Zwirn, wird Unverschämtheit Opernkunst – und der Nachgeborene rätselt: Wovon lebt so die „Dreigroschenoper“ noch?
 

Gestritten wird seit jeher, ob man sie mit knarzig singenden Schauspielern oder versierten Sangesstimmen umsetzen soll. Koblenz entschied sich bei einigen Rollen für Letzteres. Weshalb nun hier die „Dreigroschenoper“ teils klingt wie die Brecht/Weill-Oper „Mahagonny“. Weil sie aber keine echte Oper ist, sondern als „Stück mit Musik“ angelegt, müssen die Singenden sich vom gepflegten Ton doch immer wieder aufs Knarzen runterbemühen. Die den Stückcharakter treffendste und am besten zum Dreigroschen-Orchester unter Karsten Huschke passende Sangesleistung liefert Raphaela Crossey als Frau Peachum ab – eine Schauspielerin, die alles andere als schön singt.

Das mag Geschmackssache sein, wie auch die Spielweise in dieser Inszenierung, die den passionierten Dreigroschen-Fan gehörig irritiert: gereinigt und gebügelt. Da wird Polly (Julia Steingaß) zum niedlichen Operetten-Bengelchen, Lucy (Hana Lee) zur hysterischen Musical-Tussi und der in beider Betten beheimatete Macky Messer (Marcel Hoffmann) zum exemplarischen Böser-Bube-Typ.

Nicht, dass schlecht gespielt würde; viele Einzelleistungen sind aller Ehren wert und die Spelunkenjenny von Monika Staszak ist von der körperlichen Präsenz bis in den Singeton ein gefährliches Weib. Der Freund Brecht'scher Epik fühlt sich in ein an originellen, vorwiegend komischen Verfremdungseffekten durchaus reiche Operettenrevue versetzt – deren Zweck und Absichten er aber nicht versteht. Je länger der Abend, umso größer seine Ratlosigkeit.

Inszenatorisch Spannendes in den ersten Szenen. Nirgends pittoreske Bettlerstaffage. Stattdessen ein Prolog, bei dem die Hauptakteure durch einen Kühlschrank die Bühne betreten. Vom kleinbürgerlichen Wohnzimmersofa im 1960er-Stil aus wickelt Bettlerkönig Peachum seine Geschäfte ab. Christof Maria Kaiser ist in dieser Rolle eine tragende Säule: Äußerlich von häuslicher Bodenständigkeit, verfolgt der Anzugträger (60er) doch mit eiskalter Tücke seine Interessen. Filch (Jona Mues) steigt bei ihm ins Geschäft ein und bekommt zum Start das Outfit eines Versicherungsvertreters (60er) verpasst. Die Hochzeit von Macheath und Polly wird in einem Flipper-Spielsalon (60er) zelebriert.

Bühne und Kostüme (Bodo Demelius/Su Sigmund) ordnen das Spiel der Wirtschaftswunderzeit zu. Gauner und Volk tragen im Einkaufsrausch mit Brecht-Konterfeis bedruckte Tüten herum. Daran könnte man sich gedanklich abarbeiten, eine Brücke suchen zur Gegenwart. Doch fände man eine? Schwierig, denn die Pfeiler der Dialektik zwischen Elend und Profitgeierei sind weginszeniert und das Heute macht bloß mit einem desolaten Puff, launigem Extemporieren, etwas Fast-Food-Müll und einem bisschen wohlgeordnetem Bürgerprotest indifferente Spuren.

Man wird der Kritik vorwerfen, sie habe Dietzes Ansatz nicht erkannt. Dann antwortet im Falle dieser „Dreigroschenoper“ die Kritik: stimmt.                                                  Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-koblenz.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 15. April 2013)

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Kritiken früherer Inszenierungen der "Dreigroschenoper" andernorts:

2007-01-21: Brechts "Dreigroschenoper" am Schauspiel Frankfurt - Regie: André Wilms

2006-02-06: Irmgard Langes Mainzer "Dreigroschenoper" harmlos

2006-01-23: Thirza Bruncken gibt "Dreigroschenoper" in Bonn sozialkritische Agressivität zurück


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