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2013-04-22 Schauspielkritik:

Intendant Klaus Weise nimmt mit Kleist-Klassiker Abschied vom Theater Bonn


Wegen des Krieges ward
ein Krug zerbrochen


 
ape. Bonn. Zeit des Abschieds am Theater Bonn: Die zehnjährige Intendanz von Klaus Weise geht zu Ende. Im Sommer übernimmt der aus Idar-Oberstein stammende, zuletzt in Chemnitz als Intendant tätige Bernhard Helmich die Leitung des neuerlich durch Sparauflagen gebeutelten Hauses. Weise gab jetzt seinen Regie-Ausstand mit Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“. Erwartungsgemäß beließ er es nicht einfach beim gewohnten Lustspiel.
 

Überraschung zu Beginn: Der Abend hebt mit einem langen Monolog aus der Urfassung an, den Kleist bald nach der missglückten Uraufführung von 1808 aus dem Stück verbannt hatte. Dichter Nebel wabert über die Bühne der Godesberger Kammerspiele. Vorne liegt nackt der Dorfrichter Adam. Hinter ihm erzählt Eve aus dem Halbdunkel 15 Minuten lang, was tatsächlich geschah in jener Tatnacht. Wir sehen des Adams Albtraum: Es möchte durch solch Aussage ans Licht kommen, was er selbst verbrochen.

Derart vorab über den Tathergang ins Bild gesetzt, wird das Publikum überraschend sogleich in die Pause geschickt. Die Verhandlung mit dem Richter, der Täter ist, gibt es hernach in zwei Stunden am Stück. Geführt wird sie unter einem Zelt aus gewaltigen Aktenseiten in einem mit Aktenstapeln  möblierten Raum (Bühne: Martin Kukulies). Weise nimmt mit dem Prolog zwar die Spannung aus dem Geschehen, setzt aber dessen Ursächlichkeit als inszenatorischen Rahmen: Eves Angst, ihr Verlobter Ruprecht (Dennis Pörtner) könnte im Krieg verheizt werden.

Diese Befürchtung, klärt der Prolog auf, wurde vom Dorfrichter genutzt, der Maid des Nachts erpresserisch auf die Pelle zu rücken: Sei die schöne Jungfer ihm zu Willen, sorge er für die Befreiung Ruprechts vom Kriegsdienst. Die Sache verlief bekanntlich nicht im Sinne des Hallodris. Stattdessen entspann sich in und vor Eves Stube wilde Handgreiflichkeit, in deren Verlauf ein Krug zerbrach, Adam unerkannt wund geschlagen wurde und Ruprechts Vertrauen in die Treue seines Mädchens erschüttert.

Diese Gemengelage ist dann Gegenstand der Gerichtsverhandlung, die als Stück zu einem der beliebtesten Klassiker avancierte – mit dem Dorfrichter als Traumrolle für vollfleischliche Charaktermimen wie Emil Jannings, Helmut Qualtinger, Gustav Knuth, Rolf Boysen oder in den Einrichtungen von Manfred Beilharz anno 2000 in Bonn und später in Wiesbaden Rainer Kühn. In Weises Inszenierung übernimmt Ralf Drexler den Part. Saftig auch sein Adam, der hier aber zu fast defätistischem Phlegma neigt, das kaum mehr Kraft zu schlitzohrigem Raffinement aufbringt.

Die Zeit dieses Adams ist vorbei. Er weiß es, alle wissen es. Eine neue Zeit bricht an, in der Typen wie Schreiber Licht (Birger Frehse) die Geschäfte führen: stromlinienförmige Jüngelchen, stets der Herrschaft zu Diensten, hier in Person des Gerichtsrats Walter. Den spielt Bernd Braun als fast geisterhaften Inquisitor, dem der verlodderte Dorfrichter und die penetrante Frau Marthe (wunderbar nervig: Susanne Bredehöft) schier die Contenance abkaufen.

Einen bestechenden Akzent setzt die Eve von Anastasia Gubareva: Sie ist nicht Opfer, sondern Kraftpol im Spiel. Sie schweigt oder sie fordert selbstbewusst Recht und Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe – auch und gerade im Zeichen des Krieges, das zum Schluss als feuriger Nebel aufzieht. „Der zerbrochne Krug“ in Bonn: Der Abschiedsgruß von Klaus Weise sperrt sich mit gebremster Humorigkeit gegen herkömmliche Erwartungen, ist in seiner Ernsthaftigkeit aber auf neue Weise sehenswert.  Andreas Pecht


Infos: >>www.theater-bonn.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 22. April 2013)

                                                 ***

Einige Besprechungen vorheriger Weise-Inszenierungen in Bonn:

2012-06-04 Schauspielkritik:
Klaus Weise inszeniert in Bonn einen soliden, tragikomischen „Kirschgarten“


2011-03-22 Schauspielkritik:
Klaus Weise inzenierte in Bonn "Geschichten aus dem Wiener Wald" von Horváth

 
2010-11-14 Schauspielkritik:
Henrik Ibsens "Hedda Gabler" in Bonn. Regie: Klaus Weise


2010-03-21 Schauspielkritik:
Marina Carr, "In Marmor": Deutschsprachige Erstaufführung in Bonn, Regie Klaus Weise


2009-12-08 Schauspielkritik:
"Ion" von Euripides in Bonn. Regie: Klaus Weise


2008-09-28 Schauspielkritik:
"Tasmanien" von Fabrice Melquiot in Bonn uraufgeführt. Regie: Klaus Weise


2007-09-17 Schauspielkritik
Klaus Weise tut sich in Bad Godesberg schwer mit der "Medea" von Euripides


2006-05-01 Schauspiel:
Deutschsprachige Erstaufführung von Neil LaButes Dreipersonen-Stück „Wie es so lief" in Bonn




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