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2013-05-06 Schauspielkritik:

Deutsches Theater Berlin mit „Ödipus Stadt“ zu Gast in Wiesbaden. Regie Stephan Kimmig

Macht macht böse und dumm

 
ape. Wiesbaden. Das ist das Schöne an den Maifestspielen des Staatstheaters Wiesbaden: Man bekommt jedes Jahr auch einige der interessantesten aktuellen Produktionen aus der ersten Theater-Liga zu sehen, ohne selbst nach Berlin, Hamburg oder München reisen zu müssen. Am Wochenende war das Deutsche Theater Berlin mit Stephan Kimmigs Inszenierung „Ödipus Stadt“ zu Gast, deren Haupstadtpremiere im August 2012 den überregionalen Blätterwald mächtig hatte rauschen lassen.
 

Textbearbeiter John von Düffel hat nicht weniger als vier antike Tragödien zu „Ödipus Stadt“ kombiniert und komprimiert. Es folgen an dem nur zweieinhalbstündigen Abend ohne Pause aufeinander:  „König Ödipus“ (Sophokles), „Sieben gegen Theben“ (Aischylos), „Die Phönizierinnen“ (Euripides), „Antigone“ (Sophokles). Ist das Größenwahn? Dem fulminanten Ergebnis nach keineswegs. Trotz gewaltiger Kürzungen verstehen wir sehr gut, worum es im Kern bei jedem der Stück geht. Und auch dem weniger Kundigen in Sachen griechischer Sagen wird nun begreifbar, dass und wie diese Antikendramen als Großepos über das Schicksal einer Stadt und einer Familie zusammenhängen.

Ohne es zu wissen, erschlägt Ödipus den leiblichen Vater Laios und übernimmt dessen Thron in Theben. Ohne es zu wissen, ehelicht er mit Laios' Witwe die eigene Mutter Iokaste und zeugt mit ihr vier Kinder. Dies später erkennend, wird Ödipus irre. Seine Söhne Eteokles und Polyneikes geraten in kriegerischen Zwist um das Erbe des Königtums und kommen dabei um. Herrscher wird jetzt Kreon, der bis dahin allen Königen der Stadt als Ratgeber gedient hatte. Zwischen ihm und den Ödipus-Töchtern Antigone und Ismene entbrennt der berühmte Sophokles'sche Streit um das göttliche Recht Antigones, den toten Bruder Polyneikos zu begraben, und die Befehlsgewalt des Königs, ihn als Verräter an Theben den Geiern zu überlassen.

Vier Stücke in einem – das unter Kimmigs Regie als große Parabel vor allem auf die Wirkungsweisen von Macht ausgespielt wird.  Die Bühne (Katja Haß) besteht nur aus einer hölzernen Fläche, die vorne mäßig ansteigt, sich hinten mit scharfer Krümmung in schwindelnde Höhen reckt: Schicksalshorizont, den die Protagonisten immer wieder vergeblich zu erstürmen versuchen. Und wie da gespielt wird! Keine quirlige Überfülle; stattdessen Intensität, die erwächst aus diszipliniert sparsamen, dafür genau in den sonst leeren Raum gesetzten Gesten, Haltungen, Bewegungen, Sprechbetonungen.

Eine Figur wie den Ödipus von Ulrich Matthes kriegt an den Theatern ringsumher derzeit keiner hin. Er ist Täter und Opfer, Mächtiger und Ängstlicher, Stimmgewaltiger und Flüsterer,  Heldengestalt und Elender zugleich. Ratschläge nimmt dieser Ödipus Rex nicht an, weil er in jedem nur Intrige gegen sich sieht. Beeindruckender noch der hier weiblich besetzte Kreon. Zuerst formt Susanne Wolf den Ratgeber als bis in die letzter Faser dem Gemeinwohl Thebens verpflichteten stoisch gefassten  Ausbund an Vernunft. Zur Macht gelangt, entwickelt die Figur ganz andere Züge: die Hybris des Tyrannen, hier in bisweilen sehr komischen Passagen nach fast Shakespear'scher Narrenmanier auch als eitles Selbstgefallen der Lächerlichkeit preisgegeben.

Diesem Kreon tritt mit Katrin Wichmann eine bemerkenswerte Antigone entgegen. Sie wandelt das Pathos des bis zur tödlichen Konsequenz radikalen Widerstandes um in die gerechte Empörung eines auf sehr natürliche Weise zornigen Mädchen. Mit dem schlussendlich im Wort angedeuteten Aufstand des Volkes von Theben gegen den Tyrannen endet Kimmigs hinreißendes Theaterspiel über die von der macht verbogenen Mächtigen – die letztendlich stets selbstverschuldet vom Thron gestürzt werden.
                                                                               Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 6. Mai 2013)


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