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2013-05-18 Schauspielkritik:

Multinationales Theaterprojekt "Social Error" in seiner Mainzer Variante

Eine andere Welt muss möglich sein


 
ape. Mainz. Kurzweilig und zugleich gut gemeint hintergründig, doch ein bisschen befremdend ist, was da im Mainzer Staatstheater über die große Bühne geht: kein Stück im üblichen Sinne, eher eine Performance aus Spieleshow, Tanz, Musik, Video. „Social Error“ nennt sich das Projekt, das die ungarische Szputnyik Shipping Company in Kooperation mit fünf europäischen Theatern, gefördert u.a. von EU und Goethe-Institut, auf die Beine gestellt hat.
 

Die 90-minütige Inszenierung von Viktor Bodó wird von einem Aufführungsort zum andern etwas variiert. Für die hiesige Station gesellt sie den elf jungen Akteuren aus Ungarn sechs junge Schauspieler des Mainzer Ensembles bei und heißt im Untertitel „Last Man in Mainz“. In Graz, Budapest, Leipzig, Parma und Cluj-Napoca (Rumänien) ändert sich das entsprechend. Zugrunde liegt der teils humorigen, teils provokanten, teils improvisierten, durchgehend aber demonstrativen Arbeit die Frage: „Warum ist es unmöglich, eine Gesellschaftsform zu errichten, in der die Mehrheit glücklich leben kann?“

Eine der Antworten darauf könnte nach diesem Abend lauten: Weil sich so viele Leute von abgeschmackten. medienöffentlich etablierten Showspielen beglücken lassen, wie sie auf der Bühne zugespitzt persifliert werden. Etwa beim geilen Kuppelspiel in Minizelten, das gewinnt, wer für den Kampf gegen den Geburtenrückgang in der EU das meiste Sperma zur Verfügung stellt. Das liest sich  unappetitlicher als es ausschaut. Im Dunklen wird kichernd bis hektisch Reiz-Reaktion gemimt und werden mit der Wackelkamera eingefangene vage Bildschnipsel davon auf eine große rückwärtige Leinwand projiziert.

Überhaupt ist die Kamera immer dabei – das moderne Leben kennt keine Privatheit. In einer  Erschießungsszene rückt sie sogar den Todgeweihten ganz nahe, erfüllt so den letzten Wunsch jedes Einzelnen, aller Welt sein ultimatives Entsetzen vorzuführen. Dann plötzlich Schnitt, Lichtwechsel, völlig veränderte Atmosphäre: alle haben sich lieb. Ätsch, war doch bloß ein weiteres Spiel in einem Reality-Showwettbewerb um den Titel „Last Man in Mainz“.

Wer bleibt als Letzter übrig, wird Sieger? Nach diversen Tanzspielen, Unterwerfungsspielen, Diffamierungs- und Denunziationsspielen, Hass- und Liebesspielen erklärt sich überraschend der Conferencier in Person des Mainzer Schauspielers Zlatko Maltar zum gesuchten Superstar. Dieses Ergebnis hält sich allerdings nicht. Es folgen ein paar Wendungen – bis der Abend unerwartet damit endet, dass dem Wettbewerbsprinzip die Gefolgschaft verweigert wird.

Und darum geht es im bedenkenswerten Kern von „Social Error“ auch: Um die kritische Spiegelung heutiger Gesellschafts- und Lebensmechanismen anhand der Spannung zwischen Entertainment und Perfidie im zeitgenössischen Showformat. In Zwischenszenen verschmelzen Videobilder von Atombombenexplosionen mit Varieté-Tänzen auf der Bühne, wird live Worldmusic zu Filmsequenzen über jüngere Protestbewegungen in aller Welt gespielt. Da mutiert bald unter der Hand die Eingangsfrage zum renitenten Gedanken: Eine andere Gesellschaftsform zu errichten, muss/könnte doch möglich sein.                                                      Andreas Pecht


Vorstellungen in Mainz nur noch heute (18.5)  und morgen.
Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 18. Mai 2013)


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