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2013-05-21 Ballettbesprechung:

Vier Choreografien von Tänzern am Theater Koblenz

Nächte zwischen Traum und Albtraum

 
ape. Koblenz. Es ist Usus in der Ballettszene, auch aktiven Tänzern gelegentlich die Möglichkeit für eigene Versuche im choreografischen Fach zu geben. Das muss so sein, schließlich besteht das kreative Führungspersonal der Tanzsparte weltweit  fast ausschließlich aus vormaligen Tänzern. Und wer eine Neigung zur Choreografie verspürt, sollte früh ausprobieren können, ob auch ein gewisses Talent vorhanden ist. Unter dem Titel „50°N 7°O – Tanzt … Nacht!“ präsentiert das Theater Koblenz jetzt vier Kreationen von Compagniemitgliedern.
 

Meister fallen bekanntlich nicht vom Himmel. Dennoch kann man keine der vier Miniaturen als bloß bemühte Anfängerarbeit abtun. Vielmehr zeugen sie reihum von einigem Gespür für Themen und Möglichkeiten der ballettösen Bearbeitung. Summarisches Ergebnis ist ein interessanter, ansehnlicher 80-Minuten-Abend, aufgeführt an einem Ort mit den geografischen Koordinaten 50°N 7°O = große Bühne des Koblenzer Theaters, in diesem Fall bei geschlossenem eisernen Vorhang intime Spielstätte mit kleinem Publikum.

Das vorgegebene Generalthema heißt „Tanzt … Nacht!“. Es hat Arbeiten inspiriert, die in die Gefilde der Träume und Albträume, der seelischen Kämpfe, Krämpfe, Unglücks- wie Glücksmomente führen. „Zerstörte Hasen“ überschreibt Kaho Kishinami die von ihr gestaltete  Viertelstunde. Neben drei schlafenden Männern steht sinnend Lisa Gottwik, ein rosa Häschen in der Hand. Plötzlich kriegen ihre Beine das Zittern. Aus Zittern wird rhythmisches Stampfen. Das weckt die drei – und sie tanzen nach ihrem Takt.

Ein Mädchentraum, der seine dunkle Kehrseite hat: Arkadiusz Glebocki, Christof Paul und Rory Stead bleiben nicht süße Marionetten. Sie werden Hunde, Affen, dringen zum aufrechten Gang vor, erstarken zu brüllenden, malochenden, kämpfenden, zu dominanten Männern. Parallel verliert die Frau ihre Herrschaft über das Geschehen, mutiert zum Häschen. Traum –  Wirklichkeit –  Albtraum: Kishinamis Arbeit ist eine kluge Parabel, die in gegenläufiger Dynamikentwicklung ausdruckstänzerische Möglichkeiten versiert zu nutzen und auf bemerkenswerte Art zu verdichten weiß.

Ähnlich „Endless Night“ von Melanie Bürkle. Wie Zwillinge hergerichtet, stellen Irina Golovatskaia und Asuko Inoue konträre Seelenzustände einer Frau dar. Erstere depressiv, Letztere  lebensfreudig. Es gibt da mittels Mimik und Tanz markant ausgeformte Charakterunterschiede. Faszinierender noch sind indes Gegenüberstellungen, die sich auf feinste Differenzierung fast gleicher Tanzfiguren reduzieren. Leicht, weit geöffnet und harmonisch ausschwingend realisiert sie die Glückliche. Nervös, gebrochen, sich stets rasch verschließend fallen sie bei der Unglücklichen aus. Beide Tänzerinnen entfalten dabei filigran nuancierte Interpretationen auf hohem Niveau. 

Mit Krise beginnt auch „Heureka“ von Martina Angioloni: Ein Autor ringt mit Schreibblockaden, schläft darüber ein. Unvermittelt verwandelt sich seine triste Kammer ins kunterbunte Tollfeld einer quirligen Geisterschar. Kommandiert von einer wunderbar singenden Nachtkönigin (Hana Lee), legen zwei Paare eine furiose Balletthumorekse hin. Es ist, als habe die Tänzerchoreografin die Knalleffekte sämtlicher Goldoni-Komödien in Tanzkomik übersetzen wollen. Sie hat das mit handwerklichem Geschick wie ausgeprägtem Sinn für den witzigen Effekt getan. Moral ihrer  turbulenten Geschicht`: Inspiration, die der Autor im Wachzustand nicht erzwingen kann, bringen ihm entfesselte Musen im Schlaf.

„Heavenly Bodies“ von Rory Stead lässt zum Abschluss des Abends viel Spielraum für Interpretationen. Man könnte die Arbeit als poetischen Bilderbogen aus Lebenserinnerungen deuten. Im Taschenlampenspiel finden sich Liebende; ein Mädchen (Elena Lucas) entdeckt, dass tanzen mit Freunden spannender ist als  Beziehungsdrama in der Glotze zu begucken. Tänzerisch besonders interessant eine Passage, die zur Folkklampfe hohe Ballettkunst und Bewegungsformen hippiesker Jugendkultur verschmilzt. Vor allem Kaho Kishinami lädt im Kreis der Mädchen dabei Verträumtheit mit enormer Energie auf.         Andreas Pecht


Infos: >>www.theater-koblenz.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website  in einer gekürzten Fassung am 21. Mai 2013)


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