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2013-09-30 Schauspielkritik:

"Die Letzten" von Maxim Gorki in Wiesbaden.
Regie: Markus Dietz

Konsequent ausgespielte Erbarmungslosigkeit

 
ape. Wiesbaden. An was für einem schrecklichen Ort sind wir? In welch düsterem Loch lässt Regisseur Markus Dietz seine jüngste Inszenierung fürs Staatstheater Wiesbaden spielen? Zur Premiere kommt im Kleinen Haus „Die Letzten“ von Maxim Gorki. Mayke Hegger hat dafür eine Bühne gebaut, die schreit: Wer hier drinsteckt, der hoffe auf nichts mehr! Aus dem dreckigen, schwarzen Bunker, in dem knöcheltief Brackwasser steht, führt kein Weg hinaus. Die hier hausende Familie Kolomijzew wird absehbar hier auch verrecken – verfaulen im eigenen Sumpf.
 

Dietz hat das 1907 entstandene, dann in Russland sofort verbotene und späterhin auch hierzulande selten gespielte Stück schon einmal inszeniert, 2006 in Bonn. Dort hatten wir diesen Leitgedanke ausgemacht: Ein Lebensentwurf mag wohl geordnet sein, das Leben selbst läuft dann doch ganz anders. In Wiesbaden findet sich nun nicht einmal mehr der kleinste Rest familiärer Ordnung, und sei es nur ein theoretischer,  ideeller oder erträumter Splitter von Nostalgie respektive verzweifelter Hoffnung.

Hier herrscht Endzeit. Während 1901 in Tschechows „Drei Schwestern“ die alte russische Feudalordnung noch melancholisch in Siechtum überging, diagnostizierte Gorki sechs Jahre später mit „Die Letzten“ rapide Verrottung im finalen Stadium. Dietz überträgt Gorkis Befund aufs Heute – was der Text mit erschreckender Umstandslosigkeit hergibt. In der Familientragödie spiegelt sich eine auf Geldgeilheit und Aufstiegsstreben um jeden Preis fixierte Gesellschaftsordnung. Ausnutzung, Übervorteilung und Beherrschung von Mitmenschen sind ihre Wesenszüge, Korruption, Lieblosig- und Verlogenheit ihre Schmiermittel.

Diese Faktoren durchdringen in Wiesbaden sämtliche Familienbande, die im platschenden, triefenden, rutschenden Brackwasser-Spiel ohnehin keine Bodenhaftung mehr finden. Die cholerisch-gewalttätige Herrschsucht und Gewissenlosigkeit, mit der Michael Birnbaum das Familienoberhaupt Iwan gibt, wird in diesem Pfuhl zum Katalysator eines bereits bei Stückbeginn weit fortgeschrittenen Verfallsprozesses. Der Karriere als Polizeifunktionär wegen beschuldigt er einen unschuldigen Jungen des Terrorismus und giert nach dem Vermögen seines eigenen todkranken Bruders.

Fünf Kinder hat der gegenüber Inhaftierten „Anarchisten“ wie privat brutale Mann. Die zwei ältesten schlagen nach seiner Art: der rücksichtslose Alexander (Nils Kreutinger) kauft sich in eine Laufbahn als korrupter Polizist ein; die verkommene Nadeshda (Sybille Weiser) setzt kaltschnäuzig ihre Frauenreize fürs Fortkommen ein. Die zwei jüngsten erkennen derweil unter Schmerzen allmählich, dass ihr Vater weder stark noch ehrenwert ist, sondern ein asozialer Lump. Ergebnis: Pjotr (Fabian Stromberger) landet beim Schnaps, die kleine Wera (Magdalena Höfner) lässt sich an einen reichen Fettsack verkaufen.

Das fünfte Kind ist, wie sich im Laufe des 105-minütigen Abends herausstellt, Frucht eines Moments der Liebe zwischen Mutter und Onkel. Weil Iwan sie einst im Suff hat fallen lassen, geht das Mädchen jetzt an Krücken. Franziska Werner füllt diese Rolle mit Leid, Verbitterung, aber auch einer Renitenz, der das Potenzial zum Aufstand innewohnt. Der indes bleibt aus, erstickt am Hass – wie der Schulterschluss ihrer Mutter (Susanne Bard) mit der Mutter (Evelyn M. Faber) jenes unschuldig des Terrorismus Beklagten zerschellt an der Herrschaft des Vorteilsstrebens um jeden Preis.

Hofft Markus Dietz wie einst Gorki auf die Revolution? Nein, der Regisseur hofft in dieser Inszenierung auf gar nichts mehr. Er liefert einen Befund ab, gewiss überspitzt, aber in der auf allen Positionen schmerzlich konsequent ausgespielten Erbarmungslosigkeit des Innehaltens wert. Wie es vom Theater erwartet werden darf.                                      Andreas Pecht     


Infos: >>www.staatstheater-wiesbaden.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 30. September 2013)


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