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2013-10-21 Ballettkritik:

Pascal Touzeaus beeindruckendes „Cinderella“-Ballett am Staatstheater Mainz 


Trio infernale quält
doppeltes Aschenbrödel


 
ape. Mainz. Es gibt erfahrungsgemäß zwei Arten, wie scheidende Bühnenkünstler ihre Endphase an der bisherigen Wirkungsstätte bestreiten: lustlose Erfüllung der Vertragspflichten oder das Beste erstreben, um sich für Aufgaben andernorts zu empfehlen. Ballettchef Pascal Touzeau wählte für seine finale Saison am Mainzer Staatstheater offenkundig Letzteres. Die jetzt uraufgeführte Choreographie von „Cinderella“ ist ein opulent sinnenfrohes wie intim gefühlvolles Glanzstück unter seinen oft umstrittenen Mainzer Arbeiten seit 2009.
 


Touzeau (auch verantwortlich für die Ausstattung) stellt das bekannte Cinderella- oder Aschenbrödel-Spiel um die durch Stiefmutter und -schwestern drangsalierte Maid im Kleinen Haus auf eine offene, allseits von Publikum umgebene Arena-Fläche. Das war schon 2012 bei „Inferno“ so, schafft intensive Nähe zwischen Zusehern und Akteuren. Zwei L-förmige Glaswände auf Rädern gliedern flexibel die Fläche, spiegelbildlich hängt ein gläserner Kasten an der Decke. Mehr Kulisse ist nicht, doch deren allseitige Durchsichtigkeit erweist sich als sinnfällig für die inszenatorische Verknüpfung von Außenwelt und Seelenwelt, von erzählerischer Realität und deren Beeinflussung durch märchenhaft-magische Elemente.

Die Choreographie bleibt inhaltlich im Kern beim vertrauten Märchenstoff, kann so durchaus auch von Kindern als Erzählballett verstanden werden. Hinzufügungen, Weglassungen, Variationen führen teils zu ungewöhnlichen Gewichtungen, nutzen aber vor allem der Entfaltung einer modernen Ästhetik. Das beginnt bei der Musik (vom Band): Sergej Prokofjews Originalkomposition von 1945 wird mit Stücken von Christian Grifa durchmischt, die an Rock- und Techno-Soundtracks unserer Tage erinnern. Das setzt sich fort im gespenstischen Einschweben oder martialischen Paradieren seltsam ausstaffierter Gestalten, die dem zeitgenössischen SciFi- oder Fantasyfilm entliehen sein könnten. Das schafft mit dem Einsatz von Cinderellas verstorbener Leibesmutter als geisterhafter Spielführerin (Cristina Ayllón Panavera in bestechend eleganter Genauigkeit) ein poetisches Zentrum.

Touzeaus Variationen des Originals gipfeln in einem Personaltausch zwischen Cinderella als armem Mädchen und als strahlender Ballkönigin. Zwei Tänzerinnen verbildlichen unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale einer Figur. Hier die herbe Schönheit von Mariya Bushuyeva, die in freiem, gebrochenem, intensivem, aber stets auch kraftvollem Modernetanz Gefühle zwischen Entäuschung und Verzweiflung auslotet, am Ende als selbstbewusste Frau bewältigt. Dort die aparte Schönheit von Shelby Williams, die beim Schlossball in neoklassischem Stil zusammen mit dem Prinzen (Jesus Pastor) romantische Liebelei mimt.

Permanente Wechsel zwischen klassischem und modernem Stil sind ein Wesensmerkmal des zweieinhalbstündigen Abends. Sprühender Ideenreichtum auf beiden Ebenen wird verwoben zu einem vitalen, abwechslungsreichen und doch schlüssig aufgeräumten Ganzen aus großen Formationen und unzähligen berührenden bis knuffigen Kleinmomenten. Da gibt es keine Scheu vor gefälligen Effekten, die freilich die Grenze zum Kitsch kaum je überschreiten. Da gibt es auch keine Scheu vor schäumender Komik: Christian Bauch, Keiko Okawa und Anne Jung machen aus Stiefmutter und -schwestern ein wunderbar groteskes Trio infernale, das tänzerisch und darstellerisch als persiflierende Meisterleistung gelten darf.

„Cinderella“ in Mainz: ein kurzweiliger und doch kunstvoller wie geistreicher Augenschmaus.                                 Andreas Pecht


Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 21. Oktober 2013)


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