Kritiken Theater
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2013-10-29 Ballettkritik:

"Loops and Lines": Neues Ballett von Stephan Thoss fasziniert in Wiesbaden mit kunstvoller Natürlichkeit


Auf den Spuren des Tanzforschers Rudolf von Laban


 
ape. Wiesbaden. Die aktuelle Wiesbadener Produktion von Stephan Thoss ist eine von 32, die diverse Compagnien bundesweit dem Ballett des 20. Jahrhunderts widmen. Gefördert vom „Tanzfonds Erbe“ der Bundeskulturstiftung setzt sich die Reihe mit der Vielfalt des postromantischen Tanzerbes in Deutschland auseinander. „Loops and Lines“ befasst sich jetzt am Hessischen Staatstheater mit dem Wirken des Tanzforschers Rudolf von Laban (1879 – 1958). Im Februar nimmt sich dann Steffen Fuchs am Theater Koblenz den Choreographen Uwe Scholz (1958 – 2004) vor.
 

Ein quer über die Bühne des Großen Hauses in Wiesbaden projiziertes Video zeigt ein kleines Mädchen, das ausgelassen durch das fallende Laub eines Herbstwaldes hüpft, wirbelt, rennt, schlendert. Ein Sinnbild für natürlichen Bewegungsfluss. Den zerlegen dann live sechs Tänzer in kleine Elemente, dabei Möglichkeiten für den eigenen Körperausdruck erprobend. Dieser erste Teil mündet im Zusammenspiel einer Tänzerin mit einem Kontrafagottisten. Bewegung und rhythmisierter Klang werden zu sich wechselseitig beeinflussenden Elementen einer Einheit.

Damit sind zentrale Aspekte von Labans analytischer Tanztheorie aufgefächert, die Grundlage für viele Stile des modernen Balletts ist: Durchleuchtung und Systematisierung von Bewegungsqualitäten als vielfach differenzierbarem Ausdruck individueller Seelenzustände. Diese Herangehensweise kam einer Befreiung vom normierten Reglement des klassisch-romantischen Balletts gleich. Welch gewaltiger Anstoß zu Wiedervermenschlichung und Versinnlichung des Tanzes davon ausging, macht „Loops and Lines“ hinreißend deutlich.

Kongenialer Partner der Tänzer ist dabei das renommierte Frankfurter Ensemble Modern. Dessen Musiker steuern nicht nur brillant dynamisierte Kompositionen von John Adams und Steve Reich bei, sie sind teils auch als Bühnenakteure einbezogen. So beim zweiten Teil, in dem sieben Streicher, zur Diagonale aufgestellt, die Bühne als Tanz- und Klangraum gliedern. Zwischen und bisweilen mit ihnen skizzieren die Tänzer ein Kaleidoskop aus Figuren, Bewegungen, Formationen der Thoss'schen oder damit verwandter zeitgenössischer Macharten. Das sind hochentwickelte Tanzelemente, die freilich ihre Ableitung aus natürlicher Bewegung nicht leugnen. Labans Einflüsse sind unverkennbar.

Vor den letzten Teil des Abends legt ein Bläserquintett der Frankfurter eine klangliche Erkundung des Theaterraumes. Die Musiker bewegen sich, instrumental miteinander „plaudernd“, in diversen Anordnungen und Ausrichtungen über die Bühne, teils durchs Parkett. Das Publikum erlebt so den Raum als variable Größe je nachdem wie die Akteure ihn bespielen. Diese akustische Erfahrung schärft den Blick auch für die bei Laban so wichtige Beziehung zwischen Bewegung und Raum.

Der letzte Teil schlägt dann auf faszinierende Weise den Bogen zum Anfang: Elf Tänzer/innen suchen auf der mit Papier- und Plastikfetzen beblätterten Bühne Rückbindung an die verspielte  Natürlichkeit des Mädchens im Video. Wie Reichs „Eight Lines“ beim  Ensemble Modern von einem Podest auf der Hinterbühne, so strömt und flirrt nun die Energie „befreiter“ Tanzkunst im Raum davor. Zum Schluss verdichtet sie sich in einem großen Pas de deux, das mit dem neu gewonnenen Tanzausdruck alle Befindlichkeiten einer Paarbeziehung zwischen Glück und Leid in berührender Wahrhaftigkeit darstellt. Laban sei Dank.
                                                                                   Andreas Pecht


Infos: >>www.staatstheater-wiesbaden.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 29. Okotber 2013)


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