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2013-11-11 Schauspielkritik:

Büchners „Leonce und Lena“ in Bonn.
Regie Mirja Biel und Joerg Zboralski


Wenn Prinz Popo und Prinzessin Pipi das Glück suchen

 
ape. Bonn. „Dantons Tod“ und „Woyzeck“ prägen als Giganten des Dramenrepertoires unser Bild vom vor 200 Jahren geborenen Georg Büchner. Weshalb „Leonce und Lena“ - sein einziges und oft als  märchenartige Harmlosigkeit missdeutetes Lustspiel - immer wieder irritiert. So jetzt auch am Theater Bonn, wo das Stück in Form einer hippiesk verspielten Varieté-Farce wider den bürgerlichen Arbeitsethos gegeben wird.
 

Dem König Peter von Popo ist langweilig, seinem Sohn Leonce noch langweiliger. Die Anstrengung des Müßiggangs hat beide erschöpft. Also will der Alte den Jungen mit Prinzessin Lena von Pipi verheiraten und ihm zugleich die Königspflichten an den Hals hängen. Dieser Zumutung entflieht Leonce nach Italien. Dort verliebt er sich in die ihm unbekannte Lena. Die ist ihrerseits ausgebüxt, um der Zwangsehe mit dem ihr fremden Prinzen zu entgehen. Am Ende erfüllen die beiden unwillentlich den königlichen Plan, dem sie entkommen wollten.

So weit wäre das romantische Banalität, wie sie noch in den 1950ern gespielt wurde. Dann aber entdeckte man im Stück Büchner'sche Hintersinnigkeiten, seinen ironischen Umgang mit Romantikduselei und Spitzen gegen feudale Klassenherrschaft. Seither ist es richtig schwer, „Leonce und Lena“ in angemessener Ambivalenz aus Lachhaftigkeit und Giftigkeit auf die Bühne zu bringen. Die in den Kammerspielen Godesberg jetzt zu sehende Bonner Neuinszenierung einer Bremer Produktion von 2011 darf als recht passabler, kurzweiliger und in humoriger Kauzigkeit ziemlich gut gespielter Versuch gelten.

Knarf Rellöm führt als Folksänger durch den 100-minütigen Abend. Der wird teils zur Comedy-Musical-Revue, teils zum Absurditäts-Happening, nimmt vom Originaltext allerhand weg, fügt manches hinzu, bleibt über weite Strecken aber doch bei Büchners Plot und Absicht. Der Müßiggang der Herrschenden lässt das Reich verkommen: Ein riesiges „P“ liegt wie eine umgestürzte Leuchtreklame quer über die Bühne, daneben steht ein oller Wohnwagen. Durch diese Verfallskulisse treibt Glenn Goltz als König alles vergessender Melancholie entgegen, paddelt der Leonce von Benjamin Berger in aufgeregter Kraftlosigkeit an Sinnfrage und Glücksversprechen vorbei, planscht Johanna Falckner als naiv-kiebige Lena-Göre von Pipi dem Popo-Prinzen in die Arme.  

Licht in die dekadente Trübnis bringt subalternes Personal. Julia Keiling macht aus Lena-Freundin Rosetta eine Frau der Tat, geschickt mit weiblichen Reizen wie mit Kalaschnikow hantierend. Und Leonce' Freund Valerio wird bei Sören Wunderlich zu einer tragenden Säule der Inszenierung: Mit stoischer Lakonie fordert der Gammler sein und aller Menschen „Recht auf demokratische Arbeitsunlust“ – lässt sich auch durch zwei hektische Knallchargen von radelnden Ministern (Thomas Hatzmann/Samuel Braun) nicht aus der Ruhe bringen.

„Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag, das Leben der Bauern ist ein langer Werktag“, zitiert die Inszenierung von Mirja Biel und Joerg Zboralski (auch Bühne) leitmotivisch Büchners Flugschrift „Der Hessische Landbote“. Doch dies Motiv geht dem Abend unterwegs leider verloren, weil der Klassengegensatz durch Fraternisieren im Geiste einer Utopie des glücklichen Nichtstuns ersetzt wird. Das ist dann Hedonismus und nicht mehr Büchner – aber immerhin noch etwas  anarchische Renitenz gegen den heutigen Zwang zur produktiven Selbstoptimierung des Menschen.                                                              Andreas Pecht


Infos: >>www.theater-bonn.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 12. November 2013)


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