Kritiken Theater
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2014-01-21 Schauspielkritik:

Staatstheater Wiesbaden zeigt „Tod und Wiederauferstehung der Welt meiner Eltern in mir“ von Nis-Momme Stockmann

Kapitalismuskritik als
theatrale Reibungsfläche


 
ape. Wiesbaden. „Gott mach, dass Glück ohne Wachstum möglich ist“. Dies Flehen ist ein zentraler Satz in Nis-Momme Stockmanns Theaterstück „Tod und Wiederauferstehung der Welt meiner Eltern in mir“. Vom Autor während seiner Zeit als Hausschreiber am Schauspiel Frankfurt verfasst und auch in der Bankenmetropole spielend, wurde es nicht dort, sondern 2012 in Hannover uraufgeführt. Tilman Gersch hat jetzt die erste Neuinszenierung seither ebenfalls nicht am Ort des Geschehens, sondern im Wiesbadener Staatstheater eingerichtet. Frankfurt? Mag wohl nicht.
 

Angelpunkt des Stückes ist einer von denen, die im Bankenviertel die Räder des Finanzkapitalismus drehen. Nur dass dieser Mann (gespielt von Hanns Jörg Krumpholz) aus dem Kasinogetriebe gefallen ist. „Ich spüre mich nicht mehr, fühle mich nicht mehr als Mensch“ jammert er – und nistet sich mit 4,5 Millionen abgestaubten Euro in einem Sozialwohnungs-Hochhaus an der Inheidener Straße 71 in Frankfurt-Bornheim ein. Da hatte 2009 bis 2012 auch Stockmann gewohnt. 

Der zusehends verkommende Mann fantasiert Großes: Sinn finden und sich selbst, indem er mit seinem Geld eine Hyperinflation auslöst, die das Weltfinanzsystem in den Zusammenbruch treibt. Wie er das mit den paar Milliönchen anstellen will, bleibt sein Geheimnis. Wie der Typ überhaupt viel sinniert und lamentiert, aber wenig Konkretes von sich gibt. Weshalb ihm ein ärmlicher Senior vorhält: Die Armen bräuchten keine Banker, die ihnen neuerdings krisenschuldbewusst sagen, „dass Geld scheiße ist“.

Das Stück ist systemkritisches Polittheater, das wortmächtig, charmant, hintersinnig durchleuchtet, was das junge 21. Jahrhundert umtreibt: Fakten und Tendenzen, die den entfesselten Kapitalismus als Menschenkrankmacher, Umweltzerstörer, Minderheitenbereicherer, gar potenziellem Selbstvernichter zeigen.

Gersch hat die Vorlage in die Form einer Revue nach fast Brecht'scher Art gegossen. Die Inheidener Straße ist ein düsterer Gitterkäfig (Ausstattung: Henrike Engel), darin unser Mann Gestalten von der Frankfurter Kehrseite begegnet: einer alleinerziehenden, verarmten Occupy-Aktivistin (Viola Pobitschka); einem kriegsnostalgischen Hausbesitzer, der oben ein ordnungsfanatisches Regiment führt und im Keller Waffen hortet (Uwe Kraus); einer hippen Frau, die für jedes zeitkritische Thema ein Musical fordert (Franziska Beyer).

Vermittelt durch die Conference von Monika Kroll platzen dahinein aufgemotzte Glitzernummern, in der die Welt aus Banker-Sicht belobhudelt wird. Dann heißt es: „Geld bedeutet Wohlstand. Wohlstand ist Freiheit. Der moderne Mensch bestimmt seine Identität über den Grad an Freiheit, über den er verfügt. Genau genommen sind sie also ... ihr Geld." Schließlich bietet ein Musical-Macher seinen Financiers ein wohlfeiles Werk über den Untergang des Kapitalismus an, das aber ein Happy-end hat: seine Wiederauferstehung als grünes Wirtschaftswunder. Wodurch die Ökonomie bliebe, was sie vordem war: „das geheime Weltreich der Banker“.

Stück und Wiesbadener Umsetzung sind nicht allerhöchste Kunst, aber doch Theater, dass wir als Reibungsfläche brauchen. Und sei es, um die Sehnsucht nach einem menschlicheren Gang der Dinge am Leben zu erhalten.                                  Andreas Pecht


Infos: >>www.staatstheater-wiesbaden.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 21. Januar 2014)


---------------------------------------------------------
Wer oder was ist www.pecht.info?
---------------------------------------------------------


Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken