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2014-01-27 Schauspielkritik:

Theater Bonn: "Ansichten eines Clowns" nach Bölls Roman als Schauspielersolo. Regie: Alice Buddeberg

85 Minuten mutterseelenallein
 

 
ape. Bonn. Der Mann steht mit dem Rücken an der Wand. Klein, verloren vor der riesigen Fläche des Eisernen Vorhangs in den Godesberger Kammerspielen des Theaters Bonn. Von der Bühne ist ihm  nur ein schmaler Grat direkt vor der ersten Zuschauerreihe geblieben. Auf dem balanciert er nun 85 Minuten lang mutterseelenallein durch Lebensgedanken, sinnbildlich dem Absturz stets nahe. Gegeben wird „Ansichten eines Clowns“ nach dem Roman von Heinrich Böll – von Hausregisseurin Alice Buddeberg eingerichtet als Solostück für Bernd Braun.
 

Alles an dem Mann ist zerschlissen: Hose, mausgraues Unterhemd, Bademantel; auch das Gesicht unter der zerlaufenden Schminke eines Clowns, der Traurigkeit nicht mehr mimen muss, weil er von ihr erfüllt ist. Im 1963 erschienen, in der seinerzeitigen Bundesshauptstadt Bonn spielenden und damals heftig umstrittenen Roman hieß er Hans Schnier. Im  Theater des heutigen Bonn braucht er keinen Namen, denn außer ihm steht niemand auf der Bühne, und ihm ist auch nicht aufgegeben, Bölls Geschichte nachzuerzählen.

Wir erleben nur ein Ich, das sich quält, mit bald ans Publikum gewandtem, bald mit sich selbst ausgetragenem Räsonieren. Auf der ihres Lebens müden Gestalt lasten die Ergebnisse von Ereignissen und Entwicklungen, die der Roman breit auffächert, die auf der Bühne nur noch knapp angedeutet werden. Im Zentrum die anhaltende Liebe zu einer Marie, die ihn verlassen hat: wegen eines katholischen Weges, den sie „gehen muss“. Drumherum Reflexe auf Kindheit unter Nazis, auf Nachkriegszeit mit ehemaligen Nazis, auf ebenso reiche wie bigotte Mitläufereltern, auf eine Republik zwischen Untertanengeist und muffiger Wohlstandgier.

Der große Monolog bleibt nicht in Bölls Romanzeit stecken, sondern schlägt mit Einsprengseln von Fremdtext die Brücke zur Gegenwart: zur Kontinuität des alten Ungeistes etwa in Form geheimdienstlicher Totalüberwachung oder der jüngsten Hetzformel „wer betrügt, der fliegt“. Eine geisterhafte Stimme aus dem Off flüstert dazu eine Litanei, wonach man nichts mehr verdrängen muss, weil man sofort alles vergisst. Will sagen: Geschichtsvergessen war die junge Republik, die reife ist es wieder. Und wie sein privates Unglück, so gräbt auch diese Erfahrung tiefe Schrunden ins Gemüt des Clowns – der darob zum Säufer geworden ist und „rascher absteigt, als ein betrunkener Dachdecker stürzt“.

Wie Schnier im Roman stellt auch der Clown auf der Bühne resignierend fest: „Koblenz und Mainz haben abgesagt“. Was aus dem Mund des früheren Mainzer, 2003 nach Bonn gewechselten  Bernd Braun einer gewissen Ironie nicht entbehrt. Überhaupt ist sein Solo ein schauspielerisches Meisterstück, das Ironie und Lakonie mit Lebensleid und -müdigkeit auf ganz leise, ehrlich und fast natürlich wirkende Weise zur berückenden Zeichnung eines in finaler Melancholie versinkenden Zeitgenossen verwebt. Eine Figur, sorgsam abgeleitet aus der poetischen Tragik Böll'scher Humanität. Wunderbar.                                      Andreas Pecht 


Infos: >>www.theater-bonn.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 27. Januar 2014)


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