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2014-04-19 Essay :

125. Gröfaz-Geburtstag: Überlegungen zur Bedeutung der Satire für die Erinnerungskultur



Wenn Hitler zur Lachnummer wird


ape. 20. April: Gröfaz-Geburtstag. Heuer wär's der 125. für das schmächtige, schwarzhaarige, hypochondrische Idealbild eines Ariers. Gröfaz? Eine zum Uznamen für Adolf Hitler gewordene Abkürzung des Satzes „Mein Führer, Sie sind der größte Feldherr aller Zeiten.” Gesagt hatte ihn Generalfeldmarschall Wilhem Keitel nach dem Westfeldzug 1940. Unter der Hand verbreitete sich der dann das gegenteil meinende Gröfaz-Begriff nach der Schlacht bei Stalingrad 1943. Ein spöttisches Wort spricht wahr – und Adolf der Große steht in Unterhosen da.

Die Methode der Herabsetzung von Mächtigen durch loses Volksmundwerk oder spitze Narrenzunge ist so alt wie die Menschheitskultur selbst. Man setze nur Thyrannen, Kaiser, Päpste, Minister, Pfeffersäcke etwa bildlich aufs Klo zum banalsten Menschengeschäft: Die Vorstellung allein unterhöhlt zittrige Ehrfurcht vor Gottesgnadentum und Auserwähltheit. Weshalb in vordemokratischen Umgebungen solcherart Witzelei als Majestätsbeleidigung, Gotteslästerung, Volksverhetzung oder Wehrkraftzersetzung verfolgt wurde/wird.

Ein vergebliches Unterfangen, wie der Umstand zeigt, dass selbst während der Nazi-Zeit auch in Deutschland despektierliche Witze über NS-Größen und Drittes Reich kursierten. Etwa dieser von 1935: „Wer ist der größte Bauer? Adolf Hitler, er hat 65 Millionen Rindviecher und den größten Saustall.” Oder einer von 1943: „Hitler, Göring und Goebbels sitzen im Unterstand. Wer wird bei einem Volltreffer gerettet? Antwort: Deutschland.”

Insofern hatte sich die nachher in der Bundesrepublik oft geführte Diskussion, ob man über Hitler und die Nazis Witze machen und lachen dürfe, eigentlich schon während des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte erledigt: Wo es noch Menschen gibt, die nicht völlig stumpfsinnig geworden sind, bedienen sie sich des Spottes als Überlebensmittel. Dennoch taucht diese Frage bis heute beinahe reflexartig stets wieder auf, sobald ein neues Satirewerk sich mit Hitler und Co. befasst.

2013 meinte der Filmstudent Tobias Haase wohl, dass die 56 Geburtstage, die der Gröfaz erlebte bevor er sich die Kugel gab, viel zu viele gewesen seien. Der Jungregisseur produzierte als Abschlussarbeit einen Werbefilm, in dem Dank moderner Autotechnik Hitler als Kind überfahren wird. Der Clip schließt mit dem Satz: „Erkennt Gefahren, bevor sie entstehen”. Das ist starker Tobak, gleichwohl von der Deutschen Filmakadamie mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnet – nach der turbulentesten Jury-Sitzung ihrer Geschichte. Filmpreis-Sponsor Mercedes distanzierte sich, derweil wurde der Streifen im Internet ein Hit.

Ebenfalls 2013 kam die Filmkomödie „Und Äktschn!” von und mit Satiregrantler Gerhard Polt heraus. In dieser Farce versuchen Dorfamateure einen Dokufilm über das Privatleben Hitlers zu drehen. Polt mimt den verschrobenen Herrn am Provinz-Set, wo sich ein Musikalienhändler als Führer, eine depperte Wirtin als Eva Braun und deren indischer Koch als Goebbels gerieren. Geschmacklos, verharmlosend? Oder dem Irrsinn einmal mehr mit boshaft-humoriger Verachtung eine Fratze schneidend.   

Millionenfach angeklickt wurde im Netz seit 2006 ein Videoclip unter dem Titel „Adolf – Der Bonker”.  Von Zeichner Walter Moers zur Vermarktung des gleichnamigen dritten Bandes seiner Comic-Reihe „Adolf, die Nazi-Sau” geschaffen, wird Hitler hier als erbärmliche Lachnummer in der Badewanne vorgeführt. 2007 folgte der Film „Mein Führer – Die wirklich wahrhaftigste Wahrheit über Adolf Hitler” vom jüdischen Regisseur Dani Levy, mit Anarchokomiker Helge Schneider in der Titelrolle. Die Parodie zeigt den Diktator als Schwächling, Bettnässer und Schmierenkomödianten – damit gewollt oder nicht anknüpfend an Charlie Chaplins „Der große Diktator” von 1940 und Ernst Lubitsch' Film „Sein oder Nichtsein. Heil Hamlet!” von 1942.

Die beiden Filmklassiker sahen sich schon damals in den USA dem Vorwurf ausgesetzt, sie würden Hitler und das NS-Regime verharmlosen durch ihre humorige „Banalisierung des Schrecklichen”. Ähnlich die Einwände bis heute gegen Filme, Comics, Kabarett, wenn die zum Mittel der Hitler-Parodie greifen. Dani Levi gibt einen interessanten Aspekt zu bedenken: „Tatsache ist, und das scheint überhaupt nicht lustig: Hitler ist komisch.” Sein Reden, Gestikulieren, Stolzieren – mit etwas Distanz betrachtet, erscheint das maßlos künstlich, lächerlich, komisch. Weshalb jede Hitler-Karikatur eine Figur karikieren muss, die bereits im Original wie eine Karikatur wirkt.

Mit diesem Phänomen hatte bereits Chaplin genial gespielt. Damit setzte er früh einen satirischen Kontrapunkt zur Dämonisierung Hitlers – mit der noch am 125. Führergeburtstag selbst manche „sachliche” Geschichtsbetrachtung den Nazis auf den Leim geht. Denn ob Vergötterung oder Verteufelung, in beiden Fällen wird Hitler zum Übermenschen stilisiert, somit der Nationalsozialismus und seine Massenwirksamkeit dem systemkritischen Begreifen letztlich entzogen. Echte Satire will und kann dieses Spiel nicht mitmachen, weil sie von Hause dem spöttelnden Fingerzeig auf die Nacktheit jedweden Kaisers verpflichtet ist.

Wer dennoch befürchtet, die allfällige Witzelei über und um den Gröfaz sei Ausdruck einer gefährlichen Verharmlosungs- und Vergessenskultur, bedenke dies: Hitler-Witze funktionieren – ebenso wie die Provokation von Haases Werbefilm – überhaupt nur bei Publikum, das sich des Nazi-Größenwahns und des von ihm angerichteten unermesslichen Unrechts und Leids bewusst ist. Weshalb es schlimm erst würde, wenn niemand mehr über solche Witze lacht oder keiner mehr welche macht.

Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 19. April 2014)


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