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2014-05-09 Essay:

 

„Gute Geschäfte” machen
mit Russland – jetzt?


Über Wirtschaftsethik (nicht nur) vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise

ape. Nicht jedes „gute Geschäft” ist gut. Konsumenten wissen, dass eine scheinbar erfolgreiche Schnäppchenjagd sich als Schuss in den Ofen erweisen kann: Wenn man mit der Billigstsäge keinen vernünftigen Schnitt hinkriegt oder supergünstige Lebensmittel einem auf den Magen schlagen. Gescheite Unternehmer wissen, dass die Spekulation auf kurzzeitige Extraprofite zum sprichwörtlichen Handel mit Zitronen werden kann: Wenn das Renommee der Firma dadurch Schaden nimmt oder die Notwendigkeit nachhaltiger Investitionen aus dem Blick gerät.

Nicht jedes „gute Geschäft” ist gut. Zwingender noch wird dieser Satz, sobald die Rede auf scheinbar außerökonomische Faktoren kommt, die gleichwohl von der Wirtschaft nicht ignoriert werden können. Denn Wirtschaft ist Teil der Gesellschaft und damit letztlich auf deren Grundsätze verpflichtet – auch wenn diese Bindung unter der Dominanz börsengetriebener Weltkonzerne sich zusehends abschwächt. Da gibt es ethisch-moralische Kategorien, die einer schrankenlosen Freiheit des Geschäftemachens entgegen stehen. Da ist das gesellschaftliche Verlangen nach sozialen Mindestmaßstäben im Umgang mit Beschäftigten, nach Umwelt- wie Menschenverträglichkeit von  Produktion und Produkten, nach angemessener Beteiligung der Kapitalseite an den Kosten des Gemeinwesens.

Interessenskonflikte zuhauf, die zwischen Wirtschaft, Staat und Gesellschaft ständig diskutiert, neu austariert oder auch mal ausgekämpft werden müssen. Die  Atomenergie war so ein Thema. Genveränderte Lebensmittel werden ebenso eines bleiben wie Deutschlands unrühmliche Rolle als drittgrößter Waffenexporteur der Welt. Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen am unteren Ende der Beschäftigtenskala; fortschreitende Umwandlung von Gesundheitswesen und Altenpflege in ein privatwirtschaftlich orientiertes Segment… Auf vielen Feldern wurden und werden „gute Geschäfte” gemacht, die aus gesellschaftlicher Sicht oft weniger gut bis fragwürdig sind.

Jetzt kommt ein weiterer Faktor (wieder) ins Spiel, der in einem speziellen Fall von der Wirtschaft ein Verhalten erwartet, das deren Primärstreben nach ökonomischem Erfolg zuwider läuft: die Staatsräson, die im Umfeld der Ukraine-Krise verschärft auf Sanktionen gegen Russland setzt. Lassen wir einmal die umstrittene Frage beiseite, ob nicht die Ostpolitik des Westens seit 1989 für die aktuellen Entwicklungen mitverantwortlich ist; ferner die Frage, ob Putin der einzige Bösewicht im ukrainischen Machtkampf ist oder nicht auch andere Fraktionen dort im Trüben fischen. Unabhängig davon gilt: Wirtschaftssanktionen sind im Globalzeitalter eines der wirkmächtigsten Instrumente konfrontativer Außenpolitik unterhalb der Schwelle zum Krieg.

Wegen der weitreichenden globalen Abhängigkeiten sind sie jedoch ein zweischneidiges Schwert. Ein wuchtiger Boykott gegen Russland würde auch diverse West-Unternehmen, gar europäische Volkswirtschaften hart treffen. Denn Russland ist gerade für Europa ein potenter Abnehmer von Gütern, zugleich Lieferant von Rohstoffen und Energie. Einen solchen Geschäftspartner mag man nicht verlieren, etwa an Wettbewerber in Asien oder Lateinamerika, die sich kaum für die Ukraine-Krise interessieren.

Muss sich die Wirtschaft dennoch der Staatsräson beugen und als politische Waffe gegen Russland gebrauchen lassen? Ein Dilemma tut sich auf. Einerseits: Solange man Handel miteinander treibt und voneinander abhängig ist, wird nicht aufeinander geschossen. Andererseits: Die Wirtschaft kann nicht Business as usual betreiben und so tun, als gingen sie die politischen Verwerfungen nichts an. „Gute Geschäfte” heiligen weder jedes Mittel noch entlasten sie von der Mitverantwortung für das Weltgeschehen.

Entsprechend zwiespältig fallen derzeit Äußerungen der Industrieverbände aus. Mit dem verhaltenen Ja zu Wirtschaftssaktionen gegen Russland als denkbare ultima ratio gehen stets nachdrückliche Bedenken hinsichtlich der Folgen für Konjunktur, Märkte, Wachstum einher. Derartige Zwiespältigkeit kennen wir schon von anderen Schauplätzen. Jüngst etwa Irak, Iran, Nordafrika/Arabien, früher Serbien, Angola, Nicaragua, Kuba: Von der Politik verhängte Embargos stießen bei vielen Unternehmen auf wenig Gegenliebe, wurden oft so lange wie möglich ignoriert, gar unterlaufen.

Welche Wertmaßstäbe sind anzulegen? Wie sollte die Wirtschaft sich verhalten? Eine eigene Außenpolitik an der Staatspolitik vorbei steht ihr jedenfalls so wenig zu wie eine eigene Innen-, Sozial- oder Handelspolitik jenseits des Gesetzes und ethisch-moralischer Konvention. Wo Politik oder Konvention für falsch gehalten werden, muss die Wirtschaft – wie jede andere Gesellschaftsgruppe auch – die demokratische Auseinandersetzung um die Meinung von Parlamentariern und Öffentlichkeit führen. Gedeihliche Kontakte und „Gute Geschäfte” können dabei ein Aspekt sein, aber nicht automatisch vorrangiges Entscheidungskriterium.
                                     
Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
im Mai 2014)

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Frühere Artikel zur Ukraine-Krise auf dieser website:

2014-04-19a Anmerkungen:
Die großen Mächte verdrehen Wahrheit und Recht nach Gusto


2014-04-07 Anmerkungen:
Seltsame Sache: Putin-Partei verliert bei Wahl in Nowosibirks gegen russische "Kommunisten"


2014-03-06 Anmerkungen:
Zu einigen Aspekten der Ukraine/Krim-Krise



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