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2014-07-07 Ausstellungsbesprechung:

 

Spurensuche in Verdun

Ausstellung in Koblenz: Deutsch-französische Fotos vom Schlachtfeld 100 Jahre danach

 
ape. Koblenz. „Die Zeit heilt alle Wunden”, sagt das Sprichwort. Doch manche Verletzung ist so schwerwiegend, dass selbst 100 Jahre nicht hinreichen, ihre Spuren aus Leib und Seele zu tilgen. Auf Wunden, Narben, schmerzhafte Erinnerungen zu Hauf sind die Fotografen Emmanuel Berry  und Martin Blume in den vergangenen beiden Jahren bei Streifzügen durch Verdun und dessen Umgebung gestoßen. Der Franzose Berry, Jahrgang 1971, und der Deutsche Blume, Jahrgang 1956, waren gemeinsam dort unterwegs, wo die Generation ihrer Groß- respektive Urgroßväter im Zeichen erbarmungsloser „Erbfeindschaft” die irrsinnigste Schlacht des ersten industriellen Krieges gegeneinander geschlagen hatten – die Schlacht von Verdun im Ersten Weltkrieg.



300 Tage lang, vom 21. Februar bis zum 16. Dezember 1916, wurde mit allem, was seinerzeit moderne Waffentechnik hergab, Menschen zerfetzt und das Antlitz der Erde entstellt. Am Ende hatte die „Blutpumpe” 300 000 Tote, 400 000 Vermisste, Verletzte, fürs Leben Gezeichnete gekostet. 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, dieser „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts”, zeigt das Landesmuseum Koblenz nun die fotografischen Ergebnisse der aktuellen Spurensuche auf dem einstigen Schlachtfeld. Der Ausstellungsort für das von der rheinland-.pfälzischen Direktion Burgen, Schlösser, Altertümer (BSA) betreute Fotokunstprojekt ist mit Bedacht gewählt: die Festung Ehrenbreitstein am Zusammenfluss von Rhein und Mosel. Einst war sie auf deutscher/preußischer Seite Zentrum einer gewaltigen Wehrlinie „gegen die Franzosen”, wie die Festung Verdun auf der anderen Seite Wehrwerk „gegen die Deutschen”. Die ehemaligen Festungen der Brüdervölker gegeneinander sind heute Orte der Erinnerung, zugleich Symbole der Versöhnung und Völkerverständigung.

Die 50 in der Ausstellung versammelten Bilder der beiden Fotokünstler sind Erinnerungsmomente der besonderen Art. Unter oft schwierigen Bedingungen haben sie zu verschiedenen Jahreszeiten bekannte, mehr noch unbekannte Teile der ehemaligen Festung Verdun mit der Kamera in Augenschein genommen. Die Herangehensweise der beiden Fotografen war sehr verschieden, die Ergebnisse sind es zum Teil ebenfalls. Martin Blume sucht vor allem das So-Sein der Hinterlassenschaften von 1916. Seine Fotos entfalten einen fast dokumentarischen Zug. Doch indem sie in größter Ruhe sorgsam gewählte Motive heutiger Realität bannen, öffnen sie zugleich den Blick für das Furchtbare, das hinter der nicht selten idyllisch anmutenden Bildoberfläche lauert.

Zerborstene Bunker, in denen nach einen Jahrhundert verbogene, zerrissene Stahlstreben und eindringendes Wurzelwerk sich zu etwas Neuem verbinden. Laufgräben, in denen einst Zehntausende verreckt sind, schlängeln sich halb im Schnee versunken durch eine jetzt friedliche Landschaft. Friedlich auch liegt da eine sanfte, von Mulden durchzogene Hügellandschaft – die sich indes vor dem inneren Auge des Betrachters bald als dereinst von unzähligen Granaten durchpflügtes Gelände zu erkennen gibt. Rostendes Räderwerk eines Geschützturmes als fast „schönes” Symbol für die menschliche Raffinesse beim Erfinden von Tötungsmaschinen.

Die Bildsprache des Franzosen Emmanuel Berry ist anders, aber nicht weniger berührend, bedrückend. Er verfremdet die Realität fotografisch, setzt Filter ein, arbeitet mit Negativen, lässt Albttraummotive entstehen. Vielfach schneidet er seine Fotos kreisförmig zu – als handle es sich um einen Blick durchs Fernrohr zurück – mag auch sein: voraus – auf eine gespenstische Szenerie. Wie eine gläsern-eisige Furie schält sich Rodins Statue „La Defense” aus dem Nachtschwarz. Oder: Hinter düsterer Einöde füllt eine noch düsterere giftige Wolke den Horizont. Oder: Im Negativabbild eines Waldes leuchten gleißend hell jene tiefen Schrunden auf, die schwere Explosivmunition in die Erde schlug.



Die Fotos von Berry und Blume lassen die Narben in der Landschaft zu Denkmälern und die Denkmäler von Verdun zu Narben in der Landschaft werden. Beides sind Erinnerungsorte, die gerade in ihrem fotografischen Stillestehen sehr lebendige Momente der Besinnung provozieren. Momente, zu denen in der Koblenzer Ausstellung an mehreren Hörstationen erschütternde Textdokumente von Zeitzeugen treten. Die Massenschlächterei bekommt so individuelle Züge, die Narben in der Landschaft von Verdun werden zu Wunden auf Leib und Seele einzelner Menschen. Die Narben sind noch zu sehen, die Wunden aller schmerzen noch immer – auch 100 Jahre nach dem Irrsinn von damals, der bis auf den heutigen Tag ein ums andere Mal erneut ausbricht.

Andreas Pecht 

  
Ausstellung „Verdun. 100 Jahre danach. Eine deutsch-französische Spurensuche”, Landesmuseum Koblenz auf der Festung Ehrenbreitstein, bis 26. Oktober 2014, täglich 10 bis 18 Uhr.



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