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2014-07-15 Ausstellungsbesprechung:

Wissenschaft für alle
im Schloss Monrepos


Forschungsmuseum nach dreijähriger Sanierung mit neuartiger Archäologie-Ausstellung wiedereröffnet


 
ape. Neuwied. Der Ausblick von Schloss Monrepos hoch am Westanstieg des Westerwaldes ist großartig, reicht über das Neuwieder Becken bis in die Vulkaneifel. Diese Region ist ein archäologischer Hotspot, denn da siedeln seit Urzeiten Menschen. Die Erde birgt mannigfache Hinterlassenschaften ihrer Entwicklung, deren vorläufiges Ergebnis an der Oberfläche zu sehen ist – im Guten wie im Schlechten. Der Ausblick passt zur neuen Dauerausstellung im Museum Monrepos über den menschlichen Fortschritt seit Anbeginn. Die Schau verlässt den alten Weg archäologischer Präsentationen: Als lernpsychologisch durchgestaltete Erlebnisausstellung wendet sie sich an die breite Öffentlichkeit und dokumentiert so zugleich die Neuorientierung eines ganzen Wissenschaftszweiges.



„MENSCHLICHES VERSTEHEN” ist die Präsentation betitelt. Die seltsame Schreibweise verweist neben dem besonderen Ausstellungsansatz auch auf den Arbeitsschwerpunkt der Institution hoch über dem rheinland-pfälzischen Neuwied: "Monrepos – Archäologisches Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution" nennt sie sich offiziell, gehört zum Römisch-Germanischen Zentralmuseums (RGZM) Mainz im Verbund der deutschen Leibniz-Gemeinschaft.

Im Wissenschaftsbetrieb ändert sich seit einigen Jahren das Denken. Monrepos-Leiterin Sabine Gaudzinski-Windhäuser spricht von einem notwendigen „Paradigmenwechsel, der es über die Vermittlung schafft, die Gesellschaft auf Augenhöhe an Forschung teilnehmen zu lassen”. Für ihr Haus zielt das auf allgmeinverständliche, packende Vermittlung dessen, was rund 30 im Neuwieder „Schloss der Forscher” arbeitende und auch lebende Wissenschaftler aus Funden weltweit über die Verhaltensentwicklung des Menschen herauslesen.

Der Ansatz populärer, multimedial, interaktiv und szenisch ausgestalteter Erkenntnisvermittlung im Museum ist nicht völlig neu. Aber die Konsequenz, mit der er jetzt auf Monrepos durchgängig umgesetzt wird, darf als bemerkenswert gelten. Zumal er die Aufmerksamkeit mit einer speziellen Fragestellung weckt: Lassen sich heutige menschliche Verhaltensweisen gesellschaftlicher wie individueller Natur aus Steinzeit-Funden ableiten? In den acht Schau-Räumen wird Menschheitsgeschichte von den frühen Homoniden vor 2,5 Millionen Jahren bis in die Spätphase der Jäger-und-Sammler-Kultur vor 8000 Jahren thematisiert und untersucht, ob und wie die verschiedenen Entwicklungsstufen im Verhalten heutiger Menschen nachwirken.

Symbolische Irritiation in der Inszenierung des ersten Ausstellungsraum: Landschaften und Informationen sind hinter bewegten Schnürlvorhängen nur vage wahrnehmbar; das einzig kristallklar ausgeleuchtete Objekt ist der Schädel eines Leoparden, der eine menschliche Schädelkalotte zwischen den Reißzähnen hat (s. Foto). Es geht um erste Menschen noch im Naturzustand, ganz und gar aufs bloße Überleben fixiert. Um Nicht-Wissende, die ohnmächtig den Kräften ihrer Umwelt ausgesetzt waren und wohl oft fühlten, wie unsereins heute manchmal denkt: Was kann ich schon ausrichten gegen das Großeganze. Früheste Funde erzählen aber auch von Scheidewegen in der afrikanischen Menschheitswiege: Hocken bleiben und vom Leoparden gefressen werden oder auf zwei Beinen mit dem ersten primitiven Werkzeug in der Hand das Leben auf neue Art in Angriff nehmen?

Im nächsten Raum wird die erste technische und soziale Revolution vor 1,6 Millionen bis 200 000 Jahren thematisiert. Das Wie macht den Unterschied zu traditionellen Archäologie-Ausstellungen. Das Museum Monrepos führt etwa mit einer „Neugierwand” in diese erfindungsreiche Epoche neuer Überlebensstrategien, der Werkzeug- und Jagdwaffeninnovation, der Feuernutzung, der Herausbildung verlässlicher Gemeinschaftsstrukturen und sozialer Verhaltensmechanismen. Dutzende Schubladen laden ein, die Erfindungen und Fortschritte jener Zeit selbst zu erkunden – und zugleich die modernen Ergebnisse ihrer Weiterentwicklung zu bedenken. Vom Wurfspeer als früher Distanzwaffe zur Interkontinentalrakete, vom primitiven Lagerfeuer zur weltumspannenden Verbrennungskultur....

Jeder Raum folgt auf unterschiedliche Weise dem vertiefenden Ausstellungsprinzip: Erlebnis – Erkenntnis – archäologischer Inhalt. Es bleibt dem Besucher überlassen, wie tief er ins Forschungsfeld eindringen möchte. Ist ihm beispielsweise die (Selbst-)Erkenntnis genug, dass wir Eigenschaften wie Empathie, Verantwortung für Schwache oder Teamfähigkeit von den Neandertalern übernommen haben? Dass beim Homo sapiens Gemeinschaft eine herausragende Rolle spielte, die Kleinfamilie aber die längste Zeit über gar keine? Dass unsere Vorliebe für fettes Essen ein Relikt steinzeitlicher Ernährungsnotwendikeit ist? Dass unsere Lust an Klatsch und Tratsch ihre Grundlage unter anderem im frühen Bedürfnis nach (überlebensnotwendiger) Einbindung in die eine Gemeinschaft hat? Das kriegsähnliche Gewaltauseinandersetzungen zwischen Menschengruppen erst sehr spät in der Geschichte auftauchten? Oder reicht dem Besucher das nicht, möchte er vielmehr in die Forschungsmethoden der Archäologie eindringen und die Artefakte genauer betrachten, die zu solchen Erkenntnissen führen?

Da gibt es eine Abteilung, die ist als Partyraum eingerichtet. An den Wänden Graffiti Tanzender von heute. Um die „Tanzfläche” Vitrinen, die Artefakte aus der Zeit vor 40 000 bis 14 000 Jahren enthalten – lauter steinzeitliche Kunstobjekte, die keinerlei direkten Überlebensnutzen haben: Schmuck aus Muscheln, Tierzähnen, Gagat; in Schieferplatten gravierte Frauenbildnisse; übergroße Speerspitzen, so zerbrechlich gearbeitet, dass sie wohl nur als Standarte, als Erkennungszeichen oder Gruppensymbol zu gebrauchen waren. Viele der Objekte stammen von Fundplätzen in Andernach und Gönnersdorf, wo in der Magdalenien-Epoche Menschengruppen aus hunderten Kilometer Entfernung zusammen kamen, um sich austauschen, gemeinsam auf die Jagd zu gehen, zu feiern, Geschlechtspartner zu finden.

Jene Endphase der letzten Eiszeit bot mit ihrem Wildreichtum im damals trocken-kalten Klima und der offenen Steppengras-Vegetation in Mittel- und Südeuropa ideale Bedingungen für die Entfaltung des bis heute wirksamen Drangs zu Begegnung, Kommunikation, Feten und Lustbarkeiten. Die Bedingungen änderten sich grundlegend mit der klimatischen Erwärmung und dem Rückzug der Gletscher. Der letzte Ausstellungsraum dokumentiert ein Ergrünen der Umwelt und die damit verbundene Einschränkung der vorherigen weiträumigen Menschenwanderungen  durch neue Urwälder, Sümpfe, wasserreiche Flüsse. Die Lebensräume wurden kleiner, was einen gewaltigen Innovationsschub zwecks Optimierung ihrer Ausbeutung zur Folge hatte.

Die späten Jäger-und-Sammlergruppen erfanden vor 14 000 und 8000 Jahren beispielsweise die bis heute gültige Idealform von Paddel oder Ski. Sie spezialisierten ihre Steinwerkzeuge und Jagdwaffen enorm. Vor allem aber: Sie wurden standorttreu, entwickelten ein „modernes” Bewusstsein vom eigenen Revier, das gegebenenfalls mittels systematischer Gewaltanwendung erweitert oder gegen Eindringlinge verteidigt wird. Feindbilder (die Anderen) und Krieg treten als leider starke Kraft in die Geschichte ein. Das erste archäologisch dokumentierte Massaker fand vor 8400 Jahren in Süddeutschland statt. Die Monrepos-Ausstellung schlägt den Bogen von dort zur TV-Kriegsberichterstattung unserer Tage – und endet mit dem Appell: Es geht auch in friedlichem Miteinander.            

Die Wissenschaft will sich dem Volke öffnen und verständlich machen: Monrepos, das Schloss der Forscher, ist eine neue interessante Station am Weg dorthin.

Andreas Pecht



Info:
Geöffnet Di – So 10 – 17 Uhr
>>www.monrepos-rgzm.de                                                                                    
(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
in einer gekürzten Fassung am 15. Juli 2014)

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