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2014-09-01a Hintergrund:


Der „Barbarenschatz von Rülzheim”

Artefakte aus dem 5. Jahrhundert liefern jetzt auch die archäologische Bestätigung für Präsenz der Hunnen in der Südpfalz
 

ape.
Rheinland-Pfalz.
Als Mitte Februar 2014 in Mainz bei einer Pressekonferenz der sogenannte „Barbarenschatz von Rülzheim” erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde, war den Journalisten rasch klar: Das ist Stoff für eine 1a-Story. Denn was Vertreter der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) Rheinland-Pfalz und der ihr zugehörigen Direktion Landesarchäologie zu zeigen und zu sagen hatten, brachte gleich vier Faktoren zusammen, die diesen aktuellen archäologischen Fund auch fürs allgemeine Publikum höchst interessant machen.



Da war das erwartbare Aufmerken der Fachwelt für einen Fund aus dem spätrömischen 5. Jahrhundert, zu dem auch ein Stück gehört, wie es weltweit sonst keines gibt. Da waren ferner Fund-Umstände in Form einer illegalen Raubgrabung, die sich fast wie ein Krimi erzählen lassen. Da war zum Dritten der stets die Menschen faszinierende Aspekt, dass es sich bei dem Fund im Wald nahe des pfälzischen Örtchens Rülzheim (Kreis Germersheim) um kunstvolle Gegenstände aus Gold und Silber handelt, also um einen Schatz auch im volkstümlichen Sinne. Schließlich der vierte Faktor, der bei jener Pressekonferenz plötzlich als Journalisten-Frage durch den Raum sirrte und nachher Redaktionen bis ins ferne Australien elektrisierte: Könnte es sein, dass dieser Fund der legendäre Schatz der Nibelungen ist?

Diese Faktoren seien nachfolgend genauer betrachtet sowie ergänzt um Erkenntnisse, die seit Februar 2014 gewonnen werden konnten. Begonnen sei mit den Fund-Umständen, die noch immer Polizei und Staatsanwaltschaft beschäftigen.

Vom schä(n)dlichen Unwesen
der Raubgräberei


Axel von Berg, Leiter der Landesarchäologie Rheinland-Pfalz, nimmt vorbehaltlich der noch laufenden Ermittlungen folgendes Szenario für den Sommer/Herbst 2013 an:  Drei bis vier „Sondengänger” streifen durch den Wald bei Rülzheim auf der verbotenen Privatsuche nach Archäologika. Mit ihren Metalldetektoren tasten sie den Waldboden ab, darauf hoffend, dass ihnen die Geräte Metallansammlungen im Untergrund anzeigen. Einer der vier ist der 20-jährige „Sonden-Bennie”. Unter diesen Namen firmiert er in einer Szene, die sich auf private Schatz- und Artefaktsuche kapriziert. Er geht mit Schaufel und Hacke einem Ausschlag seines Detektors nach und entreißt einem Bodenstück von etwa 60 mal 60 Zentimetern jene Wertgegenstände, die heute als „Barbarenschatz von Rülzheim” bekannt sind.

Für den mutmaßlichen Raubgräber ist das ein Haupttreffer. Weshalb er sich im Internet damit brüstet – und so die Polizei auf seine Spur führt. Infolge wachsenden Ermittlungsdrucks liefert er den Schatz schließlich den Behörden aus. Dessen Schwarzmarktwert schätzen Fachleute dann auf einen einstelligen Millionenbetrag. Gleich bei der ersten fachlichen Begutachtung wird klar, dass es sich um einen Fund von außerordentlicher Bedeutung handelt.

Doch die Inaugenscheinnahme der Grabungsplatzes im Rülzheimer Wald durch die Außenstelle Speyer der Landesarchäologie sowie eine Nachgrabung dort führen zu einem frustrierenden Ergebnis. Wieder einmal hat die bloße Gier von Raubgräbern nach wertvollen Fundstücken rücksichtslos das zerstört, was für die Archäologie, für die wissenschaftliche Erforschung unserer Geschichte fast noch wichtiger ist als die Artefakte selbst: den Befund am Ort. Der originale Gesamtzustand der Fundstelle in seiner Umgebung; die Lage der Fundstücke in der Erde; ihr Zustand bei Öffnung des Bodens; ihre Vollständigkeit auch hinsichtlich „wertloser” und von Raubgräbern oft weggeworfener Teilmaterialien wie Eisen; Hinweise auf verrottete Teile, Umhüllungen, Transportbehälter etwa aus Tuch oder Holz.... All das wurde von den Raubgräbern in Rülzheim für immer zerstört.

Mehr noch: Einige Stücke wurden beim Herausreißen aus dem Boden erheblich beschädigt, andere mit Stahlwolle traktiert und verkratzt. Ob der Fund überhaupt vollständig an die Behörden übergeben wurde? Axel von Berg und sein Speyerer Kollege Ulrich Himmelmann haben so ihre Zweifel. Landesarchäologen, GDKE und rheinland-pfälzisches Kulturministerium nutzen nun die große öffentliche Aufmerksamkeit, die dem Rülzheimer Schatz entgegengebracht wird, auch für eine Aufklärungskampagne wider das Unwesen der Raubgräberei.

Die Kulturlandschaft wird geplündert

Danach sind die illegalen Sondengänger gerade in Nordeuropa ein Riesenproblem geworden. Rund 10 000 sollen allein in Deutschland jeden Tag mit ihren Detektoren unterwegs sein und die Landschaft regelrecht ausplündern. Dabei lassen sich drei Motivgruppen unterscheiden. Erstens Menschen, die aus falsch verstandenem Geschichtsbewusstsein auf eigene Faust Spuren der Vergangenheit entdecken wollen. Zweitens Leute, die aus Sammellust losziehen, um ihre private Archäologika-Sammlung zu bereichern. Drittens die gefährlichste und am wenigsten sichtbare Gruppe: Kriminelle Profis, die mit modernster Prospektionstechnik entweder dem bloßen Edelmetallwert historischer Hinterlassenschaften nachjagen oder diese aufspüren, um sie gereinigt, restauriert und mit falschen Herkunftspapieren profitabel dem Kunstmarkt zuzuführen.

Jede dieser Gruppen hinterlässt meist eine Wüstenei zerstörter Befunde.  Aus Desinteresse oder Unkenntnis wird so kulturelles Erbe zertrümmert und die Wissenschaft bester Möglichkeiten beraubt, die Geschichte im Interesse der Allgemeinheit zu erforschen. Archäologisch interessierten Laien aber, denen es ehrlich um die Sache der Forschung geht, denen bietet die Landesarchäologie seit jeher die Möglichkeit, als anerkannte Ehrenamtler daran mitzuwirken – in die Grundzüge dieser Arbeit eingewiesen, auf deren Grundnormen verpflichtet, unter fachkundiger Anleitung und Aufsicht.

Römische und hunnische
Insignien nebeneinander


Woraus nun besteht der Rülzheimer Schatz und was macht ihn so interessant? Kern des Fundes sind vier Elemente, die bemerkenswerter Weise römisch-antike und hunnisch-ostgermanische Komponenten vereinen. In eine große, massive Silberschale sind um den  Rand und in der Mitte Fassungen mit Halbedelsteinen eingearbeitet. Die Art der Verzierungen verweist auf eine Herkunft aus den Reiterkulturen östlicher Steppenvölker wie Hunnen und Alanen. Diese Deutung wird bestärkt durch eine am hinteren Ende angebrachte Ringöse zur Befestigung der Schale am Pferdesattel. Solche Ösen kennt man von früheren Funden auf ungarisch-rumänischem Gebiet. Überraschend aber steckt in der Mitte der Rülzheimer Schale ein großer geschliffener Onyx-Stein, der zweifelfrei Teil einer römischen (!) Kaiserfibel war. Solche Gewandnadeln wurden von den Kaisern des Imperium Romanum an hochrangige Persönlichkeiten verliehen.

Garantiert nicht-römischen Ursprungs sind 84 Goldapplikationen, die ursprünglich das Prachtgewand eines Herrschers oder Fürsten aus dem hunnisch-ostgermanischen Raum zierten. Für die Stilistik der kleinen, filigran ausgearbeiteten Goldteile gibt es mannigfache Beispiele aus dem Kontext der Steppenvölker. Sie ist auch ganz typisch für die Zeit um 450 nach Christus, auf welche die Archäologen den Rülzheimer Schatz mit großer Gewissheit datieren. Deutlich früheren und eindeutig römisch-imperialen – genauer: gallisch-britannischen – Ursprungs ist eine Silberschale mit mittig einziseliertem Medaillon. Das Stück wurde allerdings schon in antiker Zeit brachial in drei Teile zerhackt. Was aufgrund der Erfahrungen mit anderen derartig zerstückelten Artefakten darauf schließen lässt, dass es sich um ein Beutestück handelt, dessen Teile vom hochstehenden Eigentümer des gesamten Schatzes als Belohnung für besondere Verdienste von Untertanen gedacht waren.



Star des Rülzheimer Schatzes ist freilich ein – Klappstuhl. Weil bereits in historischer Zeit zerlegt und jüngst bei der Raubgrabung noch einmal stark beschädigt, gab er sich erst bei näherer Untersuchung zahlreicher Kleinteile des Fundes als solcher zu erkennen. Halteketten und Gestänge mit teilvergoldeten Silberblechauflagen, figurlich gestaltete Endknaufe von Armlehnen und Rückenstütze, Stuhlfüße in Form von Löwenpfoten: Aus all diesen Komponenten lässt sich eine ganz bestimmte Art von römischem Sitzmöbel rekonstruieren. Von der weiß man aus bildlichen Darstellungen, dass es sie in spätantiker Zeit als hochherrschaftlichen Reisestuhl gab, der Inhabern  absoluter Macht vorbehalten war. Allerdings ist erst jetzt in Rülzheim der bislang weltweit einzige dieser wohl auch in der Antike extrem seltenen Stühle gefunden worden.

Ein Steppenfürst im Dienste
des Imperiums


Noch spannender sind nun für Fachwelt und interessiertes Publikum die ersten Schlussfolgerungen aus dem Schatzfund in der Pfalz. Vorbehaltlich der Ergebnisse weiterer  wissenschaftlicher Forschungen skizzieren Axel von Berg, Ulrich Himmelmann und Kollegen eine vorläufige Ausdeutung. Danach bilden die Stücke einen zusammengehörigen Hort aus dem Besitz einer Persönlichkeit, die den höchsten Kreisen der Herrschaftschicht aus dem hunnisch-ostgermanischen Raum angehörte. Zudem muss es sich um einen Würdenträger gehandelt haben, der zumindest zeitweise in den Diensten Roms sehr hohes Ansehen genoss oder ein wichtiger Verbündeter des Imperiums war. Dafür sprechen die Kaiserfibel und besagter Klappstuhl. Dafür sprechen auch die schwierigen und wechselhaften Bedingungen im 5. Jahrhundert, also in der Spätphase des weströmischen Reiches.

Mal unabhängig voneinander, mal miteinander, mal gegeneinander drängten zu jener Zeit Germanenvölker wie Burgunden, Sueben, Vandalen sowie ihre zentralasiatischen Reiternachbarn der Hunnen und Alanen in die nordöstlichen Grenzlande des zusehends schwächelnden römischen Imperiums. Mal waren sie den Römern Feind, dann standen einzelne Stämme und Völker als Bundesgenossen in deren Diensten, um hernach doch wieder die Seiten zu wechseln. Aus dieser Gemengelage heraus ist der Schatz von Rülzheim als Zeichen einer zunächst engen Verbindung zwischen seinem herrschaftlichen Eigentümer aus hunnisch-ostgermanischem Umfeld und Rom entstanden. Doch wie kam er in das pfälzische Waldstück und warum wurde er dort vergraben?

Grabbeigabe oder Depot
eines Flüchtlings?


Für die Beantwortung dieser Frage stellt die raubgräberische Zerstörung des Rülzheimer Befundes ein arges Hindernis dar. Die Abmessungen der Fundgrube und ein paar vage erhaltene Randungsspuren lassen die Möglichkeit vermuten, dass die Artefakte ursprünglich in eine Holzkiste verpackt waren. Wäre dies noch zu beweisen, könnte die Forschung mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass es sich hier um die Opfergrube zur Grabstätte eines ostgermanisch/burgundischen oder hunnischen Würdenträgers aus königlichem Umfeld handelt. Diesen Schluss legt ein vergleichbarer älterer, wenn auch nicht so hochwertiger, Fund in Ungarn nahe: Dort waren die Opferbeigaben nicht mit ins Grab gelegt, sondern in gesonderten Gruben in der Nähe plaziert worden.

Der Bestattungsbeweis ist für Rülzheim im Augenblick und vielleicht nie mehr zu erbringen. Weshalb diese Deutung vorerst eine von zwei Theorien bleiben muss. Die andere geht davon aus, dass der Besitzer der Artefakte sie auf der Flucht schnell verstecken musste und deshalb das Erddepot im Rülzheimer Wald nahe der Römerstraße anlegte. Für beide Theorien aber erlaubt die Datierung des Schatzes auf eine Zeit um das Jahr 450 den Schluss, dass es sich beim Besitzer tatsächlich um einen hunnischen Fürsten gehandelt hat. Denn Hunnen waren seit 435/436 in der Pfalz reichlich vertreten: Da hatten sie als römische Hilfstruppen die aufmüpfigen Burgunden vom Rhein vertrieben.

Doch das Bündnis zwischen Rom und den Steppenvölkern brach schon bald. Nur 15 Jahre später wurde die Südpfalz unter umgekehrten Vorzeichen zum Aufmarschgebiet für hunnische und alanische Reitertruppen. Die zogen anno 451 unter dem Kommando Attilas zusammen mit fränkischen und burgundischen Verbänden gegen den weströmischen Feldherrn Aëtius in die Schlacht bei den Katalaunischen Feldern. Attilas Heer wurde von den Römern geschlagen und die Reste seiner Steppenreiterei strömten 'gen Osten zurück. Im Zuge dieser Vorgänge, so die derzeitige Annahme der Archäologen, landete der Hunnen-Schatz im Rülzheimer Wald – und ist heute der erste gewichtige archäologische Beleg für einen historischen Sachverhalt, von dem wir bislang fast nur aus schriftlichen Überlieferungen wissen: der Präsenz von Hunnen, sogar aus der königlichen Herrschaftsschicht, in der Pfalz während des mittleren 5. Jahrhunderts.

Ist dies der Schatz der Nibelungen?

Womit wir bei der abschließenden Frage angelangt wären: Nibelungenschatz oder nicht? Diese Frage musste bei Kombination historischer und räumlicher Aspekte im Zusammenhang mit dem Rülzheimer Fund zwangsläufig auftauchen:  Burgunden, Hunnen, 5. Jahrhundert, Rheinregion unweit Worms/Speyer – das alles lässt natürlich an die Nibelungen-Saga mit Siegfried, Kriemhild, Attila, Hagen von Tronje und den legendären Schatz denken. Axel von Berg hält die Frage zwar für berechtigt, beantwortet sie aber auf ganz eigene Weise.

Danach würden viele Schatzlegenden am Rhein zurückgehen auf jene zahllosen germanischen Raubzüge, die ab dem 4. Jahrhundert von der rechten Rheinseite das linksrheinische Römergebiet heimsuchten. Mannigfache Werte wurden vor den Plünderern oder von diesen selbst versteckt oder gingen beim Rückzug über den Rhein verloren. Wahrscheinlich seien zahlreiche Schatzdepots schon im Mittelalter und in der Neuzeit gefunden und verwertet worden, von denen heute kein Mensch weiß.  Der Landesarchäologe ist sich sicher: Es hat nie DEN einen gigantischen Nibelungen-Schatz gegeben. Vielmehr ist die Sage der summierende Reflex auf die Vielzahl jener spätantiken Schätze in unserer Gegend. „Der Nibelungen-Schatz ist bloß ein Symbol für alles Wertvolle, das irgendwo am und im Rhein liegen geblieben ist.”



Wie geht es nun weiter mit dem „Barbarenschatz von Rülzheim”? – der so gar nichts Barbarisches an sich hat, außer dass Hunnen im römischen Sprachgebrauch eben als Barbaren bezeichnet wurden und der Umgang heutiger Raubgräber mit den Relikten alles andere als zivilisiert ist. Zunächst hat noch die Öffentlichkeit Gelegenheit, die Artefakte in Augenschein zu nehmen: Nach einer bereits beendeten Präsentation im Landesmuseum Mainz ist der Schatz noch bis 23. September in der Archäologischen Ausstellung des Landesmuseums Koblenz auf der Festung Ehrenbreitstein zu sehen, anschließend bis Anfang November im Historischen Museum der Pfalz in Speyer. Danach gehen die Stücke in eine intensive wissenschaftliche Bearbeitung und der Klappstuhl zur Konservierung, Restaurierung und Rekonstruktion in die Werkstätten des Rheinischen Landesmuseums Bonn. Ab etwa 2016 wird der Schatz dann an einem noch zu bestimmenden Ort in der Pfalz dauerhaft ausgestellt.

Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
im August 2014)


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