Kritiken Theater
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2014-09-15a Theaterkritik:

"Die Dreigroschenoper" am Staatstheater Wiesbaden.
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson

Sie zeigen, dass sie so tun, als spielten sie Dreigroschenoper

 
ape. Wiesbaden. So viel Stoff zum Streiten wie jetzt in Wiesbaden, bot Bert Brechts Dreigroschenoper in der Großregion seit der verstörenden Bonner Inszenierung von Thirza Bruncken 2006 nicht mehr. Im Stück droht Peachum dem Polizeichef, die Königskrönung mit seinem Bettlerheer zu stören; im Hessischen Staatstheater wendet der frisch gekürte Hausregisseur Thorleifur Örn Arnasson die Drohung gegen Feierlichkeitserwartung am Startwochenende der neuen Intendanz Laufenberg.
 


Bruncken schuf damals einen szenischen Gegenwarts-Comic mit Klon-Menschen und entseelter Karaoke-Fete in übervölkerter Wohnschachtelgroßstadt. Das Stück sollte so aktuell jene sozialkritische Aggressivität entfalten, die schon Brecht mit mehreren Nachbearbeitungen (vergeblich) vor der kulinarischen Vereinnahmung als süffige Gauneroperette retten wollte. Arnarsson verfolgt teils eine ähnliche Absicht.

Methodisch greift er auf seine Mainzer „Romeo und Julia”-Inszenierung von 2013 zurück. Die wandte sich mit einer Melange aus vertrauter Darstellung und allerhand Brechungen gegen die tradierte Rezeption des Shakespeare-Klassikers. In Wiesbaden geben nun bei Brecht einerseits etwa Uwe Kraus und Andreja Schneider ein fast traditionelles, saftiges Bettlerchefpaar Peachum. Andererseits wird die Dreigroschen-Illusion immer wieder zerstört durch scheinbar improvisierte Passagen, durch aus der Rolle fallende, Stück und unsoziales Theatersystem diskutierende Mimen. Das Ensemble spielt nicht einfach Dreigroschenoper, sondern zeigt, dass es so tut als spiele es Dreigroschenoper. Das Werk und der Kult darum werden kritisch beäugt, dabei entstehen auch neue Lesarten und mannigfach knuffige Momente.

Lucy und Polly treten zum Sängerinnen-Wettstreit an: Erstere, Heather Engebretson, im schönsten Opernsopran Mozarts Königin der Nacht singend; Letztere, Barbara Dussler, die gleiche Partie so famos schnoddernd, knarzend, kreischend wie die Brecht'schen Songs. Bettler, Gaunerplatte und Huren werden von einer frechen Girlie-Truppe gespielt. Überhaupt ist hier Frauenpower Trumpf – was die Wandlung des pittoresken Freudenhauses zur Leib und Seele der Huren verelendenden Anstalt einschließt. Woraus logisch folgt: Es ist an der Zeit, das sich diese Frauen von Abhängigkeit und Ausbeutung durch verbrecherische Lebemänner und verlogene  Showmaker a la Macheath (Tom Gerber) befreien.

Also wird der Typ diesmal nicht durch einen Königsboten vom Galgen gerettet, sondern hängt bis der Tod eintritt hoch überm Kasterlpuff (Bühne: Matthias Schaller) – das Mitte des zweiten Aktes ein Stapler auf die bis dahin nackte und wie eine Fabrikhalle wirkende Riesenbühne schiebt. Die im Dunkeln standen, treten nach Vollstreckung triumphierend ins Licht: Huren in unschuldigem Brautkleidweiß und ein Chor mit Brechts Konterfei auf den T-Shirts. Zum Schlussapplaus vereinen sie sich mit allen Akteuren, auch den ins Spiel eingebundenen Bühnenarbeitern.        

Etlichen Buhrufern im ansonsten munter applaudierenden Publikum mag das Ganze wie mutwillige Zurichtung vorkommen. Doch Arnarsson hat Brechts Verfremdungseffekt an der Seite, wenn er auf solche Weise systemische Scheinheiligkeiten des „politisch engagierten” (Staats-)Theaters zur Debatte stellt. Ärgerlich, dass er partiell nur alte Kulinarik durch neue Trash-Gefälligkeit ersetzt und kritische Renitenz dann doch wieder in Effekthuberei ertrinkt. Noch ärgerlicher aber, dass in diesem Fall das Wiesbadener Theater in seinem Großen Haus die Akustik nicht im Griff hat: Die Combo im Graben gibt Kurt Weills Musik etwas glatt, aber kunstvoll und kräftig; von manchen Songs und Sprechtexten indes kommt auf den Rängen bloß Gemurmel an.


Infos: >>www.staatstheater-wiesbaden.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 15. April 2014)


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