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2014-09-22a Schauspielkritik:

Uraufführung "Die Wandlung der Susanne Dasseldorf" am Theater Koblenz. John von Düffel hat Joseph Breitbachs ersten Roman bearbeitet

Überleben in Zeiten des Umbruchs

 
ape. Koblenz. November 1918. Der Waffenstillstand von Compiègne beendet den Ersten Weltkrieg. Im sich auflösenden deutschen Kaiserreich tobt die Novemberrevolution. Zugleich fallen Trier und Mainz unter französische, Koblenz unter amerikanische Besatzung. In dieser Situation spielt Joseph Breitbachs Roman „Die Wandlung der Susanne Dasseldorf”. Am 111. Geburtstag des aus Ehrenbreitstein stammenden Autors brachte das Theater Koblenz jetzt eine eigens bei John von Düffel in Auftrag gegebene Stückfassung zur Uraufführung.



Acht Personen spielen Koblenzer Alltag in Zeiten eines Umbruchs, der die alte Ordnung hinwegfegt. Drei Stunden lang untersucht die fast kammerspielartige Inszenierung von Intendant Markus Dietze, wie veränderte Verhältnisse Menschen verändern. Bühnenbildner Dirk Steffen Göpfert stellt dafür in die große Welt des offenen Bühnenraumes einen drehbaren Block aus  verschachtelten Salons, Stuben, Durchgängen. Das ist die kleine Welt der Fabrikantenfamilie Dasseldorf nebst proletarischem Gärtnerhaushalt der Heckers und einquartierten amerikanischen Besatzern.

Da steht alles mit allem in Verbindung. Die Kaiser-Wilhelm-Büste oben auf dem Block symbolisiert das Alte, an das sich Mama Dasseldorf (Tatjana Hölbig) mit sturer Weinerleichkeit klammert und das Tochter Susanne anfangs mit patriotischer „Haltung!” behauptet. Doch die Wände im Herrenhaus haben schon keinen Glanz mehr und als Menetekel hängt hoch droben, mit dem Kaiser bald auf Augenhöhe, ein einfacher Holzstuhl. Tatsächlich arrangieren sich die Heckers zuerst mit den Besatzern: Sie haben nichts zu verlieren, Fleischtöpfe zu gewinnen. Derweil die Dasseldorfs  privilegierter Lebensart und Profiten aus der Uniformproduktion nachtrauern.

Alles steht mit allem in Verbindung. Susanne hat ganz unstandesgemäß ein Auge auf den jungen Pit Hecker geworfen. Dorothee Lochner deutet dieses Interesse anfänglich raffiniert so klein an, dass man es fast übersieht. Das erklärt sich, wie manches an diesem Abend, erst von der schier karthatischen Schlussphase her. Während im Roman die Frau von vornherein erotisch denkt, formt das Theater einen Prozess der Bewusstwerdung eigener Triebe. In dessen finaler Zuspitzung reißt Susanne den Burschen in die Lustumschlingung – um dann zu erkennen, dass die alte Hierarchie Herrin/Diener nicht mehr existiert.

Katalysator ihrer Wandlung ist der schwule Schnath, Sekretär ihres Bruders Louis (Marcel Hoffmann), der sich ebenfalls in Pit vergafft hat. Jona Mues formt da in fabelhafter Widersprüchlichkeit eine Figur, die auf den ersten Blick dem intriganten Jago in „Othello” ähnelt. Auf den zweiten wird spürbar: Wie Jago ist auch Schnath ein von den Umständen Getriebener. Die Umstände sind in seinem Fall Homosexualität in einer Gesellschaft, die Homosexualität ächtet und verfolgt.

Alles steht mit allem in Verbindung. Als Schnath sich Susanne offenbart wird er zu ihrem Verbündeten beim Abstreifen der alten Normfesseln. Als er auch dem im Hause einquartierten US-Offizier Cather (David Prosenc) sein Schwulsein gesteht, wird er zum Helfer bei dessen Werben um Susanne. Und Pit? Ian McMillan spielt trefflich einen Burschen heraus, der bald auf des Messers Schneide zwischen Opfer und Gewinnler der 1918er-Verhältnisse balanciert. Seine Mutter hat da weniger Probleme: In Claudia Felkes saftiger Darstellung eines Kowelenzer Volksweibes macht sie gleich mit den ersten einrückenden Amis umstandslos ihren Schnitt.

Breitbachs Mut, diese Themen 1932 so offen zu behandeln, verdient Respekt. John von Düffel gebührt Beifall dafür, aus dem talentierten, aber doch recht weitschweifigen Romanerstling das Interessanteste zu einem praktikablen Stück komprimiert zu haben. Gleiches gilt für Dietzes Inszenierung. Die spielt auch mit vergnüglichem Lokalkolorit, erliegt jedoch nie der Gefahr, ins Regionalbrettl abzurutschen. Einfach macht sie es einem dennoch nicht – mit einem langen ersten Teil, in dem die psychologischen Beharrungskräfte der alten Ordnung kaum Figurenentwicklung zulassen. Umso explosiver nachher die Wandlungen.

Die Theaterwelt hat ein neues Stück. Das kommt aus Koblenz und funktioniert dort recht gut. Ob anderwärts ebenfalls, wird man irgendwann vielleicht sehen.

Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-koblenz.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 22. September 2014)


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/"Die Wandlung der Susanne Dasseldorf" am Theater Koblenz/

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