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2014-09-29 Ballettkritik:

Theater Koblenz zeigt Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" als Tanzstück von Steffen Fuchs

Zwischen Moral und Käuflichkeit

 
ape. Koblenz. Es gibt Friedrich Dürrenmatts Stück „Der Besuch der alten Dame” in etlichen Verfilmungen, als Oper und als Musical. Eine Bearbeitung fürs Ballett war laut einschlägigen Spartenlexika indes niemandem in den Sinn gekommen. Das ändert sich nun. Am Würzburger Theater brachte unlängst Anna Vita eine erste Tanzfassung des 1956 in Zürich uraufgeführten Schauspielklassikers heraus. Am Wochenende hat auch Steffen Fuchs mit seiner Compagnie am Theater Koblenz eine mit langem Premierenbeifall aufgenommene Ballettadaption vorgestellt.



Dass Dürrenmatts Tragikomödie im Sprechtheater zuletzt kaum mehr gespielt wurde und erst jetzt vom Ballett entdeckt wird, verwundert einigermaßen. Denn nie war die Story über Korrumpierung einer Gesellschaft durch ökonomische Macht und Ausverkauf humaner Werte zugunsten materiellen Wohlstands aktueller als heute. Weshalb an die sonst sehr schön und klug gearbeitete Fuchs'sche Choreografie die Frage bleibt: Warum ist der 90-minütige Abend mittels der Kostüme von Sasha Thomsen und des Bühnebildes von Lucia Becker auf die Entstehungszeit des Stückes fixiert? Mit der historisierenden Perspektive verschenkt das Ballett unnötiger Weise Möglichkeiten für schärfere, ästhetisch und gesellschaftskritisch gegenwartsrelevantere Zugriffe. 

Ein öder Platz, umgeben von grauem Gemäuer mit in trister Regelmäßigkeit eingelassenen Türen: der Ort Güllen in tiefer Rezession. Entsprechend die Leute dort: Farblos, abgewetzt im Äußeren; innerlich ausgebrannt, im hoffnungslosen Wartestand – was der Tanz trefflich durch Reduktion von Tempo, Dynamik, Körperspannung bis hin zum gefrierenden Stillestehen ausdrückt. Dahinein hält „die reichsten Frau der Welt” Einzug, Claire Zachanassian, einst von Alfred geschwängerte und fallengelassene, von den Bewohnern geächtete und vertriebene, in der Fremde zu Reichtum gelangte Tochter der Stadt.

Sie verspricht den Güllenern eine Milliarde, wenn sie Alfred umbringen. Sie nennt das „Ich kaufe mir Gerechtigkeit”. Und bietet „Konjunktur für eine Leiche.” Das Ballett führt eindringlich vor, wie  dies Angebot allmählich die humane Ethik im Selbstverständnis der Menschen am Ort zersetzt. Erste Phase: helle Empörung aller in Form wütender, energiegelandener Stampf- und Protestformationen wider Claires unmoralisches Angebot. Zweite Phase: Im Vorgriff auf das verruchte, doch mit klammheimlicher Sicherheit erwartete Meuchelhonorar greifen Kaufwut und Lebensluststeigerung um sich. Bunte Petticoat-Kostüme und beschwingter Tanz wandeln die Szene.

Dritte Phase, verknüpft mit einem balletösen Bravourstück kleiner Formen: Die Compagnie wendet sich in genau abgezirkeltem Blick-, Gesten-, Haltungs- und Fußstellungsspiel von Rory Stead als Alfred ab. Will sagen: die Güllener sehen – mit zwar schlechtem Gewissen, aber Gewissheit – in ihm schon einen Toten. Stead realisiert die Figur des Mammonopfers als personifizierten Prozess der Erkenntnis in ein unabwendbares Schicksal. Er benutzt dazu eine bewusst reduzierte, aber umso beseeltere Tanzsprache, wie sie wohl erst in reifem Tänzeralter erreichbar ist.

Reife kennzeichnet auch Raphaela Crosseys Darstellung der Claire. Sie ist die einzige Schauspielerin in dieser Choreografie und setzt mit nur ganz wenigen Worten für das Geschehen dramatisch wirksame Aufrufezeichen. Wie bei Stead, so ist auch bei ihr Sparsamkeit und Konzentration der Ausdrucksform Mittel höchste Intensität. Zusammen bieten beide die schönsten Intimszenen des Abends – auf einer Bank um die Erinnerung an den einstigen Traum von Liebe ringend, bevor er schmählich verraten wurde. Da beschwören sie Geistbilder ihrer selbst als Jungverliebte herauf: Kaho Kishinami und Arkadiusz Gleboki vereinen irrlichternd sinnliche Mädchenleichtigkeit und gewollt etwas dröge Bubenhaftigkeit zum innig-verspielten Turteltanz.

Die Koblenzer Compagnie hat unter Steffen Fuchs ein auf fast allen Positionen verlässlich gutes tanztechnisches Niveau erreicht. Das schafft Raum für künstlerische Interpretation und Verdichtung, bei „Besuch der alten Dame” deutlich spürbar an der ausdrucksstarken Vielgestaltigkeit der Ensembles und Einzelleistungen. Etwa derjenigen von Michael Waldrop, der mit einer virtuos ertanzten aggressiven Kantigkeit den Güllener Lehrer in die Zerrissenheit zwischen Moralismus und Käuflichkeit stürzt.

Spannend ist auch Fuchs' Musikauswahl. Mit mal tragischen, mal humorig-schrägen Kammermusiken von Chopin, Górecki, Saint-Saёns und Hindemith grundieren Meander-Quartett sowie am Piano Olga Bojkova-Bícaníc und James Maddox aus dem Graben das Ballett gekonnt: als tragikomische Parabel auf Menschen, die für eine brummende Konjunktur ihre Seele verkaufen.  

Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-koblenz.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
in leicht gekürzter Fassung am 29. September 2014)


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/Koblenz: "Besuch der alten Dame" als Tanzstück von Steffen Fuchs/

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