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2014-10-21 Analyse:

Die Kurden gegen den IS stärken, ohne ihr Selbstbestimmungrecht zu untergraben

 


Fremde Truppen in Kurdistan unerwünscht


 
ape. Sie sind nur schwer zu ertragen, die Bilder von der türkisch-syrischen Grenze nahe Kobani. In der unlängst noch von 50 000 Menschen bewohnten Stadt stehen Männer und Frauen der kurdischen YPG-Miliz in einem verzweifelten Abwehrkampf gegen zahlenmäßig und waffentechnisch weit überlegene Verbände des „Islamischen Staates” (IS). Nur wenige hundert Meter entfernt sind starke türkische Panzereinheiten aufgefahren. Doch die schauen tatenlos zu, wie die kurdischen Verteidiger unter dem Ansturm der IS-Aggressoren zu verbluten drohen.
                                    

Angesichts der Barbarei des IS im Irak und Syrien ist der Ruf nach Eingreifen des Westens zugunsten der Kurden verständlich. Etliche Staaten, darunter Deutschland, haben Waffenlieferungen zumindest an die Kurden im Irak beschlossen. Unter Führung der USA fliegen Kampfjets mehrerer Länder Angriffe gegen den IS. Doch wird dieser Krieg, wie fast alle Kriege, militärisch nicht aus der Luft, sondern letztlich am Boden entschieden.

Weshalb ebenfalls verständlich ist, dass einerseits der internationale Druck auf die türkische Führung zunimmt, ihre Truppen gegen den IS zum Einsatz zu bringen, dass andererseits in der westlichen Welt immer wieder der Gedanke an den Einsatz eigener Bodentruppen auftaucht. Zuletzt sorgte ein solcher Vorstoß der grünen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag für Furor. Doch so naheliegend dieser Gedanke erscheint, so intensiv er in einigen Leitmedien ventiliert wird: Die Diskussion um Entsendung von Bodentruppen nach Kurdistan ist eine Gespensterdiskussion über die Köpfe der Kurden hinweg.

Denn: Die Kurden wollen gar keine ausländischen Truppen in ihren syrischen und irakischen Siedlungsgebieten; schon gar nicht die türkische Armee. „Fremde Interventionen, egal von wem, lehnen wir ab”, erklären Songül Karabulut vom Kurdischen Nationalkongress und andere Kurdenvertreter kategorisch. Das mag uns aus der Ferne sonderbar erscheinen angesichts der Bedrängnis durch den IS. Aber: „Den Kurden helfen nur Kurden” heißt eines ihrer Sprichwörter, das herrührt von unzähligen bösen Erfahrungen mit auswärtigen Mächten. Dieses Volk war über Generationen Spielball der großen Politik, seine Heimat ist heute an vier Staaten verteilt: Syrien, Irak, Türkei, Iran – die alle von Selbstbestimmungsrecht der Kurden wenig wissen wollen.

So kann es nach Jahrzehnten teils blutiger Feindschaft etwa zwischen türkischen Kurden und Ankara nicht verwundern, dass kurdische Flüchtlinge aus Syrien die Auffanglager des türkischen Staates an der Grenze meiden. Stattdessen kommen sie bei Landsleuten unter oder ziehen weiter in den irakischen Teil Kurdistans. Dort finden sie nach dem Zurückdrängen des IS durch Peschmerga und PKK-Milizen für den Augenblick relative Sicherheit.

Dem türkischen Militär misstrauen die Kurden zutiefst. „Wenn die Türken gegen Kobani losschlagen, weißt man nicht, auf wen sie schießen”, übermitteln Beobachter eine unter den Flüchtlingen verbreitete Stimmung. Die ist nicht unbegründet, wie Äußerungen des türkischen Präsidenten Erdogan zeigen, der die kurdischen PKK- und YPG-Milizen genauso bekämpfen will wie den – bis eben von ihm wohlwollend geduldeten – IS.  So ist die Furcht der Kurden, ihre wirkungsvollsten Kräfte gegen den IS könnten bei einem Vormarsch der türkischen Armee in einen Zweifronten-Krieg geraten, nachvollziehbar.

Was aber wollen die Kurden vom Westen, wenn schon keine Truppen? Hilfe zur Selbsthilfe. Also erstens: Schlagkräftige Infanterie- und panzerbrechende Waffen für alle kurdischen Kampfverbände. Nur so lässt sich auf Dauer dem IS Paroli bieten, der sich bei den desolaten Armeen Syriens und des Iraks reichlich mit russischem und amerikanischem Kriegsgerät versorgt hat. Und was den Dschihadisten fehlt, kaufen sie mit Abermillionen aus den Schatullen arabischer Dunkelmänner sowie aus der Vermarktung von Beuteöl und Beutekunst hinzu; Söldner inklusive.

Zweitens: Schaffung eines Korridors über türkisches Gebiet zwischen den kurdischen Enklaven im Irak und Syrien, damit Peschmerga und PKK Entsatz nach Kobani bringen können. Es ist ein Irrtum vieler Westmedien, anzunehmen, die jüngsten wütenden Proteste der Kurden in der Türkei seien vor allem eine Reaktion auf das Nichteingreifen der türkischen Armee in Kobani. Primär entzündet sich der Zorn an den Schikanen, mit denen die Regierung in Ankara dem kurdischen Kampf gegen den IS ständig in den Arm fällt – sei es die Behinderung des Nachschubs für die syrischen Kurden-Milizen (selbst durch die Amerikaner), sei es Erdogans Spaltungspolitik in  „böse” und „gute” Kurden.  

Nach wie vor scheint das Interesse Ankaras an einem schwachen Kurdistan größer als an der effektiven Bekämpfung des IS. Nach wie vor auch scheint der Westen nicht ganz begriffen zu haben, dass die Kurden mitsamt ihren auch hierzulande lange als „terroristisch” klassifizierten Volksmilizen derzeit die einzige in der Region heimische Kraft sind, die den Nimbus der Unbesiegbarkeit des IS zerstören können. Sie sind weder Partei im innerislamischen Glaubenskrieg zwischen Sunniten und Schiiten, noch Partei im Ringen um die Vormachtstellung von Nordafrika bis Vorderasien. Und was sie sich in ihren selbst erstrittenen halbautonomen Gebieten im Irak und Syrien zuletzt aufgebaut hatten, entsprach vielleicht nicht westlichen Idealen. Aber es war um Klassen besser als die Assad-Dikatur in Syrien, die Ayatolla-Herrschaft im Iran oder der oligarchische Selbstbedienungsladen von Bagdad.

Indem die Kurden im Vertrauen auf die eigene Kraft Heimat, Kultur und Eigenständigkeit gegen die IS-Barbarei verteidigen, holen sie auch für die internationale Gemeinschaft die Kastanien aus dem Feuer des Mittleren Ostens. Sollte dieses stolze Volk gebrochen werden, würde die Weltgegend dauerhaft zur Operationsbasis der brutalsten Glaubenskrieger, die das 21. Jahrhundert bisher hervorgebracht hat. Weshalb es Zeit ist, den Kurden die von ihnen gewünschte Unterstützung zu gewähren und zugleich ihr Selbstbestimmungsrecht zu respektieren.

Andreas Pecht

                                         
(Erstveröffentlichung/-abdruck außerhalb
dieser Website am  22. Oktober 2014)

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Siehe zum Thema IS auch

2014-10-01 Überlegung:
Von Hollywood befeuert, beim IS gelandet: Die jugendliche Lust am archaischen Kampfabenteuer

                                                     



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