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2014-11-03 Schauspielkritik:

Büchners Erzählung "Lenz" am Staatstheater Mainz als Zweipersonenstück. Regie: K.D. Schmidt

Der Autor und seine Figur
miteinander im Gebirg'


 
ape. Mainz. Das Staatstheater Mainz hat jetzt ein Werk auf die Bühne gebracht, das nie für die Bühne gedacht war: „Lenz”, die kleine, großartige Erzählung von Georg Büchner. Darin geht es um den Schriftsteller Jakob Michael Reinhold Lenz und dessen Abgleiten in paraniode Schizophrenie während eines Aufenthaltes 1778 in den Vogesen. Überwiegend besteht der Prosatext aus Blicken auf die Vorgänge in Kopf und Gemüt dieses Lenz. Als Lektüre packend, erschütternd. Doch wie sollte man so etwas am Theater spielen? Vor allem: warum?



Diese Frage stellt sich jedesmal neu, seit um die  Jahrtausendwende Regisseure allüberall begonnen haben, fürs Lesen gemachte Literatur auf die Bühne zu hieven. Als gäb's nicht genug Theaterstücke, werden allein diese Saison in Frankfurt Grass' „Blechtrommel” und Kafkas „Amerika”, in Wiesbaden die „Buddenbrooks”, in Bonn Laclos' „Gefährliche Liebschaften”, Roth' „Hiob” und „Herz der Finsternis” nach Joseph Conrad dramatisiert. In Koblenz hatte unlängst ein Bühnenbearbeitung des Breitbach-Romans „Die Wandlung der Susanne Dasseldorf” Premiere.

In Mainz nun stellt Regisseur K.D. Schmidt „Lenz” auf die Bühne des Großen Hauses. Genauer gesagt: vor und über dieselbe. Der nachtschwarze Eiserne Vorhang geschlossen, davor ein Stahlgerüst mit kleiner Plattform in fünf Metern Höhe (Bühne: K.D. Schmidt/Christoph Hill). Dort oben rezitiert Daniel Friedl alias Büchner mit Verve Büchners Erzähltext. Derweil turnt Clemens Dönicke alias Lenz die Schwindelhöhe von Gerüst und Eisenwand rauf und runter.

„Den 20. Januar ging Lenz durchs Gebirg”, beginnt Büchners Erzählung. Sie spielt hoch in den Bergen, auch über und mit seelischen Abgründen. Absturz lauert hier wie da, weshalb das Publikum in Mainz nur droben auf den Rängen sitzt, während das große Parkett unten als finstere Leere dräut. Des Regisseurs Respekt gegenüber der Vorlage ist unverkennbar. Er schlachtet sie nicht aus, sondern lässt sie Literatur bleiben: keine brachialen Eingriffe in den Text, keine Bebilderung von dessen Inhalt. Schön und mit je angemessener Emphase vorgetragener Text ist ein Hauptmerkmal des 70-minütigen Abends.

Wozu aber braucht es dafür das Theater? Man hat den Eindruck, die Inszenierung versucht eine metaliterarische Dimension zu thematisieren: die Beziehung zwischen dem Autor und seiner Figur. Lange erzählt Friedl von Lenz wie Büchner es tut, sagt Dönicke wenig dazu, sondern staunt fast kindlich über das, was er hört. Mit der Zeit macht sich Dönicke/Lenz erst stammelnd, schließlich im Wahnsinn tobend immer größere Textteile zu eigen – während Friedl/Büchner zusehends die Distanziertheit des Erzählers abhanden kommt. In der Schlussphase haben dann beide die Erzählung verlassen. Die wird zum wuchtigen Dialog umgedeutet, in dem das gebeutelte „Ich” des Lenz dem bald wie er leidenden, bald ihm Vorwürfe machenden „Du” von Büchner gegenübersteht.

Die inszenatorische Konstruktion hat ihre Logik und das in seiner allmählichen Veränderung hochkonzentrierte Spiel der beiden Protagonisten auch seinen Reiz. Ein zwingender Grund, Büchners „Lenz” dem Buch zu entreißen und auf die Bühne zu stellen, ergibt sich daraus aber noch immer nicht.

Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 3./4. November 2014)


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