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2014-11-10 Schauspielkritik:

Theater Koblenz zeigt den revolutionären Schiller

"Don Karlos" zum einen
und zum anderen


 
ape. Koblenz. 15 Mimen spielen über gut drei Stunden überwiegend althergebrachten Klassikerstil, und doch ist Friedrich Schillers „Don Karlos” am Theater Koblenz von so noch nicht gesehener Neuheit. Zum Beginn schließt sich der Vorhang, als sollen alle bisherigen Seherfahrungen mit diesem Stück  und Erwartungen daran ausgesperrt werden. Aber das Spiel beginnt auf schmaler Vorbühne erstmal doch wieder in tradierter Manier: Der Infant von Spanien und sein Freund Posa treffen aufeinander, setzen die bekannte Tragödie über Freiheitsdrang versus Diktatur und Liebe versus Staatsräson in Gang.

Dann die Überraschung, das Andersartige der Inszenierung von Olga Wildgruber: Nach 20 Minuten wird die Startsequenz noch einmal gespielt. Was allerdings eben Männerrollen waren, sind nun Frauenfiguren und umgekehrt. Jona Mues gibt seinen mit politischem Verstand kalkulierenden Revolutionär Posa an Jana Gwosdek ab, bei der die Figur zur von Herzen glühenden Freiheitskämpferin wird. Karlos geht vom überpathetischen Jungtragöden-Affekt des Ian McMillan an die zwischen Empfindsamkeit und Kiebigkeit changierende Magdalena Pircher. Die liebt nun statt der sittsamen königlichen Stiefmutter (Dorothee Lochner) den einer Knutscherei nicht abgeneigten Stiefvater (David Prosenc).



Dieses den ganzen Abend mit Wiederholungen oder Parallelspiel der geschlechtlich konträren Akteursgruppen durchgehaltene Regiekonzept erfordert Geschlechterwechsel auch auf dem spanischen Thron. Oberreaktionär Philipp II. wird mal von Reinhard Riecke, mal von Raphaela Crossey gespielt. Ebenso Herzog Alba (Klaus Philipp/Tatjana Hölbing), Prinzessin Eboli  und anderen Hofschranzen. Um das Maß der Irritation voll zu machen hält sich der Abend nicht bloß an die üblicherweise gegebene 1787er-Textfassung des „Dramatischen Gedichts”, sondern haben Wildgruber und Markus Dietze obendrein Elemente aus Schillers Vorfassungen und Prosabearbeitungen hinein montiert.

Darf man das, kann man das, bringt das was? In diesem Fall: Ja, ja und ja. Interessanterweise reanimiert Koblenz hier einen von den 1950ern bis in die frühen 70er bevorzugten Blickwinkel auf das Stück, der nachher leider weithin verloren ging: „Don Karlos” primär als gesellschaftspolitisches Ideentheater und nicht so sehr als intime Gefühlstragödie. Die Zeit ist wohl reif für die Neuentdeckung von Schillers Widerständigkeit – heute, da die Gefährdung von Demokratie und Selbstbestimmung durch Finanzkapital und Bigdata schier „alternativlos” erscheint.

Die Ausweitung des Schillerschen Ideentheaters auch auf die moderne Position der Frau hat vor dem Hintergrund von Kanzlerinnen, Vorständlerinnen, Frauenquote seine Berechtigung. Und der schauspielerische Vergleich männlicher und weiblicher Verhaltensweisen unter gleichen Bedingungen macht aus Irritation bald Faszination. Denn selten wird an einem Abend so deutlich, wie Unterschiedsnuancen in Spielweise und Sprechart, in Mimik und Körpergestus, in geschlechtlicher Ausstrahlung oder Stellung im Raum Charaktere und Inhaltsdeutung grundstürzend verändern können. So macht diese hochinteressante Inszenierung auch viel Freude als wunderbare Schule des Sehens von Möglichkeiten.

Es gibt in der sauber und sinnig ausgeformten Ensembleleistung herausragende Spielmomente. Etwa der Erkenntnismonolog Ebolis, dass Karlos nicht sie, sondern den Stiefelternteil liebt: Bei Marcel Hoffmann ist's ein furios zwischen geckenhafter Überspanntheit und Narrenklugheit austariertes Solo, bei Shantia Ullmann ein schneller einsamer Prozess von Gekränktheit zu eiskalter Racheplanung. Oder die große Rede Posas an König Philipp mit dem Ruf „gebt Gedankenfreiheit!” im Zentrum: Mit fast diabolischer Berechnung zeigt der Posa von Mues dem Autokraten einen Weg auf, durch Gewährung von Freiheiten dem Untergang zu entgehen; während der Posa von Jana Gwosdek einfach nicht anders kann, als dem Herrscher seine/ihre Überzeugungen ins Gesicht zu schmettern.

Die nach dem ersten Akt geöffnete Bühne von Ausstatterin Claudia Rüll Calame-Rosset bietet dem Ensemble einen weiten Aktionsraum. Der wird bald durch Licht, bald durch Feuer, Wasser und Bodenneigung mittels Schauspielkunst zu atmosphärisch dichten Bildern variiert. Diese Bilder führen nicht die Frau als besseren Menschen vor, sondern erhellen: Macht macht Männer wie Frauen zwar auf unterschiedliche Art, aber mit gleichem Ergebnis böse. Und diese Bosheit provoziert auf der Gegenseite bei Frauen wie Männern auf zwar unterschiedliche Art doch den gleichen Reflex: Freiheitsdrang.   

Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-koblenz.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 10. November 2014)


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/ Theater Koblenz, Schiller, Don Karlos, Regie Olga Wildgruber/

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