Kritiken Theater
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2014-11-17 Ballettkritik:

Hessischen Staatsballett stellt sich mit vielgestaltiger Erstproduktion "Aufwind" vor


Tanz-Neustart in Wiesbaden

 
ape. Wiesbaden. Vier Wochen nach dem Einstand in Darmstadt stellte sich nun das neue Hessische Staatsballett mit seiner ersten Arbeit „Aufwind” in Wiesbaden vor. Im Zuge der jüngsten Intendanzwechsel an den Staatstheatern beiderorts war die bisherige Eigenständigkeit der  Tanzsparten aufgegeben und erstmals diese gemeinsame  Compagnie eingerichtet worden. Chefchoreograf ist der recht unbekannte Tim Plegge, der für die Startproduktion zwei prominente Kollegen eingeladen hatte: Richard Siegal und Alexander Ekman. Ergebnis ist ein Abend mit drei extrem verschiedenen Teile. Das entspricht der Programmatik Plegges für das Staatsballett, die stilistische Vielfalt des zeitgenössischen Tanzes zeigen zu wollen.



Es war erwartbar, dass die Uraufführung von Siegals Beitrag „Liedgut” in Wiesbaden noch zwiespältiger aufgenommen würde als in Darmstadt. Denn vor sieben Jahren erst hatte sich das Wiesbadener Publikum vom Traditionsballett des Ben Van Cauwenbergh verabschieden und an den jüngeren Stil von Stephan Thoss gewöhnen müssen. Die Konfrontation jetzt mit Siegals Performance aus Lichtkunst, Klangcollage, abstraktem Tanz ist manchem zu viel der Modernität – auch wenn diese Arbeit des ehemaligen Tänzers bei William Forsythe eine eher milde Retro-Adaption des Fankfurter Avantgardismus ist.

Im Zentrum steht eine mal senkrecht, mal waagrecht durch den Dunkelraum schwebende Säule aus LED-Lichtern. Flackernd und gleißend visualisiert sie Geräusche, Töne, Worte der Gruppe Atom™ von schmerzhaftem Weißen Rauschen bis zur Verfremdung des Volkslieds „Es klappert die Mühle” nach Dada-Manier. Als audiovisuelle Performance ist das durchaus interessant. Was sich tänzerisch im Halbdunkel um die Säule abspielt, fällt – soweit überhaupt erkennbar – eher belanglos aus: Etüden frühen Forsythe-Stils mit klassischen Elementen zur losen Folge verbunden.

Als Etüde, Übung, möchte man auch Plegges eigenen Beitrag „Vom Anfang” klassifizieren. Mit Musik von Kurtág, Schubert, Schumann und Auerbach für Ohr und Herz zugänglicher, experimentiert die Choreografie mit einer Fülle von Figuren des heutigen Repertoires. Der Tanz zeichnet dabei häufig die Stimmstrukturen der Musik nach. Tempo und schier atemlose Bewegungsdichte erinnern an Thoss. Nur kann bei Plegge von eigenem Stil noch keine Rede sein, sieht man von zwei faszinierenden Phänomenen ab: Oft gehen viele bekannte Figuren hier ganz anders aus als erwartet; daneben spielen Tänzer mit den Möglichkeiten des Wankens, der Unsicherheit.

Bei diesem Anfang ist noch nichts im Lot. Das symbolisiert auf Elisa Limbergs Bühne eine asymetrisch nach vorne und zur Seite abfallende Ebene. Darauf balanciert  Valeria Lampadova an Abgründen entlang – erträumte Möglichkeiten und Ausdrucksweisen andeutend, die dann um sie herum von der Compagnie ausprobiert werden. Deren Potenziale sind enorm und Plegges Talent ist unverkennbar. Doch auf nachfolgende Fortschritte kommt es an, meint nicht nur der freundliche, aber noch indifferente Applaus für „Vom Anfang”.

Ungeteilte Begeisterung erfährt die Deutsche Erstaufführung von Ekmans 2012 beim Nederlands Dans Theater uraufgeführten „Left right, legt right”. Für die Zuseher ein Bonbon, ist die Choreografie als Katalysator für den Findungsprozess der neuen Compagnie aus einander bisher fremden Tänzern ein Glücksfall. Raumgreifende Formationen auf Basis schlichten bis humorig eigenwilligen Stehens, Gehens, Marschierens, Laufens entwickeln hier aus höchster kollektiver Präzision eine frappierende Leichtigkeit von enormem Reiz. Wesensmerkmal dieser Arbeit ist das dynamische Miteinander der zum großen Tanzkörper verschmolzenen Protagonisten, ohne dass diese ihre Individualität gänzlich aufgeben.

Da treiben beispielsweise 26 Akteure auf ebenso vielen Laufbändern dem Gleichschritt das Martialische aus und tanzen stattdessen verspielten Gemeinschaftsmarsch. Eine schmunzeln machendes Video dokumentiert, wie sie ihre Findungsarbeit auch in die Innenstädte von Darmstadt und Wiesbaden getragen haben. Ballettöser Flashmob vor staunenden Passanten und dazu der schöne Satz: Gingen die Menschen tanzend durch die Welt, sie wäre eine bessere.

Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-wiesbaden.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 17. November 2014)


-----------------------------------------------------------------------------------------
Wer oder was ist www.pecht.info?
-----------------------------------------------------------------------------------------

Hessisches Staatsballett, Startproduktion "Aufwind", Premiere Wiesbaden

Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 

eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken