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2014-11-18 Schauspielkritik:

"Peer Gynt" am Staatstheater Wiesbaden gut gespielt, aber schlecht erzählt. Regie: Thorleifur Örn Arnarsson


Gebt uns wieder Geschichten!


 
ape. Wiesbaden. Der neue Hausregisseur Thorleifur Örn Arnarsson hat am Staatstheater Wiesbaden seine 2010 in Luzern eingerichtete Sicht auf Henrik Ibsens „Peer Gynt” reaktiviert. Der Abend beginnt im fünften Akt, springt dann in den ersten, lässt den vierten ganz weg, spaltet den Titelhelden in drei gleichzeitig agierende Figuren auf, lädt dem Stück obendrein allerhand fremdes Spiel im Spiel auf. Mit dem Ergebnis: Wer die originale Handlung nicht sehr gut kennt, darf zweieinhalb Stunden Rätsel raten.



Wieder drängt sich die jüngst manchem Regisseur zu stellende Frage auf: Ist Theater als Veranstaltung bloß für eine Szene von Kennern nicht missverstanden? Bei den meisten älteren Stücken sind nun mal die großen Themen Mensch, Gesellschaft, Welt gebunden an Geschichten. Der inszenatorische Zugriff darf, kann, soll diese verkürzen, verdichten, umdeuten. Dennoch muss die Kerngeschichte auf die eine oder andere Art erzählt werden, da sonst das Klassikertheater sein für jedermann Interessantestes verliert: die begreifbare Beleuchtung der Wechselwirkung zwischen (Welt)Verhältnissen und zwar exemplarischen, aber doch konkreten Schicksalen, Individuen, Figuren.

Natürlich ist im Falle des szenischen Riesengedichts „Peer Gynt” Kürzung angezeigt. In Ibsens „nordischem Faust” begibt sich der im heimatlichen Dorf wegen seiner Fantastereien geschnittene Bursche auf eine gar zu weitläufige Abenteuerfahrt durch mythische wie reale Sphären. Dass Peer sich bei Arnarsson nicht von der Stelle bewegt, sondern seine Abenteuer in einer mit Trödel zugemüllten Stube wie Geisterscheinungen oder Traumbilder erlebt, ist ein legitimer Ansatz.

Auch gegen die Aufspaltung der Titelfigur in drei Identitäten lässt sich kaum etwas einwenden: Hajo Tuschy als schäumend lebensgieriger junger Peer, Jürg Wisbach als zynisch verbiesterte Seniorenversion und Ulrich Rechenbach als lakonisch kalte innere Stimme beider. Peter Stein hatte 1971 in Berlin die vielfach zerrissene Figur gar mit acht Schauspielern besetzt. Doch während in Wiesbaden eindrücklich gespielte Passagen wie Brautentführung, Peers Beinahe-Verwandlung in einen Troll oder das Sterben seiner Mutter breiten Raum bekommen, erfahren wir gar nichts vom Aufstieg des Abenteurers zum Superreichen und von seinem Absturz erst ins Elend, dann ins Irrenhaus.

Dass dieser Mensch aus einem Gefühl des Mangels an Sinn und Selbst in wilder Getriebenheit  äußeren Erfolgen und Befriedigungen nachjagt, bleibt auf Vytautas Narbutas' hübsch pittoresker Rumpelkammer-Bühne eher konfuse Ahnung. Was auch daran liegt, dass die schlichte, aber große Liebe der Maid Solveig zu Peer als bloß statisches Symbol unerzählt an den Rand gedrängt ist: Wie eine Schattengöttin steht sie den ganzen Abend stille in der Szenerie.

Stattdessen fallen, wie neulich schon bei Arnarssons „Dreigroschenoper”, die Hauptdarsteller zusehends aus ihren Rollen. Wisbach bricht zornig einen Meta-Diskurs vom Zaun über seine Flucht aus der DDR und sein ewiges Funktionieren-Müssen als schauspielernder Befriediger des bürgerlichen Kulturbegehrens. Das ist für sich genommen ebenso interessant wie intensiv ausgespielt – würde aber wesentlich weniger aufgesetzt wirken, wäre die zentrale Ibsen'sche Fragestellung „Wer bin ich?” aus einer verstehbaren Darstellung der Peer-Gynt-Story abgeleitet.

Theater ist keine Insel nur für Insider, sondern öffentlicher Raum fürs szenische Erzählen und Interpretieren von Geschichten, die alle angehen, bewegen sollen und womöglich verändern.               

Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-wiesbaden.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 19. November 2014)


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Peer Gynt, Staatstheater Wiesbaden, Regie: Arnarsson, Kritik

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