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2015-01-13 Schauspielkritik:


"Die Blechtrommel" als
kleines Theaterwunder


Schauspiel Frankfurt macht aus Roman von Günter Grass ein faszinierndes Ein-Personen-Stück um


 
ape. Frankfurt. Es war ein Gebot der Stunde und ein Herzensanliegen der Akteure: Am Sonntag traten Hauptdarsteller und Regieteam im großen Frankfurter Schauspielhaus in T-Shirts mit der Aufschrift „Nous sommes Charlie” zum Schlussapplaus an. So wurde eine Manifestation der Solidarität gegen den dschihadistischen Terror Teil des stürmischen Premierenbeifalls für das kleine Theaterwunder, das die Zuseher gut zwei Stunden lang hatten erleben dürfen: eine Bühnenadaption des Romans „Die Blechtrommel” als Ein-Personen-Stück.




Geht das überhaupt? Lässt sich Günter Grass' frühes literarisches Meisterwerk von 1959 „spielen”, indem man einfach dessen Zentralfigur Oskar Matzerath mutterseelenallein auf eine kleine, ins Parkett vorgebaute, mit etwas Erde ausgelegte Spielfläche (Bühne: Daniel Wollenzin) stellt und erzählen lässt. So wie der – ab 2017 zum Chef des Berliner Ensembles gekürte – Frankfurter Intendant Oliver Reese seine Inszenierung anlegt, funktioniert das seltsame Unterfangen tatsächlich. Mehr noch: Diese Ein-Mann-”Blechtrommel” darf in der Flut von Romandramatisierungen, die während der vergangenen 15 Jahre nicht zuletzt die Theater im deutschen Südwesten überschwemmte, als eine der wenigen gelungenen gelten.

Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens bemüht sich Reese hier nachdrücklich um Nähe zur Literatur als künstlerischem Medium, das vornehmlich auf Vorstellungskraft und Empathie der Rezipienten baut. Er erliegt gerade nicht der Versuchung, aus dem Roman ein opulentes Handlungsdrama mit womöglich filmischen Anleihen machen zu wollen. Stattdessen reduziert er die Vorlage auf einen roten Faden ausgewählter Erlebnisse, Empfindungen, Betrachtungen des nicht wachsen wollenden Oskars, von denen der Bühnen-Oskar erzählt und sie in monologischem Spiel teils nachempfindend spiegelt.

Der zweite Grund für das Gelingen dieser Inszenierung heißt Nico Holonics. Ohnehin ist der 31-jährige ein Mime von hohen Graden; jetzt möchte man sagen: von höchsten. Wie er da im Bubenanzug bald boshaft, bald hellsichtig, mal kreischend, mal greinend, eben wütend, dann tieftraurig die Außen- und vor allem Innenwelt des literarischen Oskarchens durchmisst und quasi in direkter Korrespondenz dem nahen Publikum unter die Nase hält, das ist ein auf solch intensive Art selten erlebtes Faszinosum. Das noch dadurch gesteigert wird, dass der Schauspieler es wunderbar versteht, nie völlig in den von seinem Oskarchen momenthaft nachgeahmten Personen aufzugehen, sondern, der Romankonstruktion verpflichtet, stets auch ein Quantum Erzählerdistanz zu wahren. 

Dazu braucht es bloß ihn, ein paar Blechtrommeln und einen übergroßen Stuhl, der seine auf 94 Zentimeter festgefrorene fiktive Körperlänge markiert. Kein faulender Pferdekopf als Aalköder. Keine Großmutter mit vier Röcken. Keine Mutter als Begierdeobjekt zweier Männern. Keine Marie, die ihn reizend wäscht und in deren Schoß er sein Gesicht versenkt. Nichts von alledem kommt leibhaftig auf die Bühne und ist doch dank schauspielerischer Erzählkunst alles präsent; inklusive Naziaufmarsch, den Oskar mit Walzergetrommel sabotiert.

Reeses Bearbeitung und Holonics' Spiel könnten für sich stehen, würden auch demjenigen eine zwar zeitgeschichtlich reduzierte, aber intensive Blechtrommel-Story erzählen, der weder den Roman noch Schlöndorffs Verfilmung kennt. Da beides jedoch im Gedächtnis der meisten Theaterbesucher abgelegt sein dürfte, wirkt dieser Abend obendrein als Schlüssel zur Erinnerung an Lektüre und Filmerlebnis früherer Jahre. Mit Nostalgie hat das wenig zu tun, mehr mit Wiederannäherung über einen ganz anderen, überraschenden, ebenso anrührenden wie insbesondere für das literarische Original wieder hellwach machenden Weg.

Andreas Pecht

Infos: >>www.schauspielfrankfurt.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 13. Januar 2015)


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