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2015-01-23a Feature:

Hurra, mein Buchladen
am Ort lebt weiter

Über den Albtraum eines Bücherfreundes und die tröstende Recherche bei zwei Koblenzer Buchhändlern




ape. Vorweg sei erzählt vom Traum eines Mannes über den Tag seines Renteneintritts anno 2021. Ihm träumt von der Zeit, die er durch Wegfall der Brotarbeit gewinnt. Als Lesezeit will er sie vor allem nutzen, weil Lesezeit erfüllende Lebenszeit ist. Nachholen will er all die Lektüren älterer wie neuer Bücher, die der Berufspflichten wegen unbeachtet bleiben mussten. Also geht er an diesem Tag in die Stadt, um eines jener Entrees zur Bücherwelt zu benutzen, die ihm seit jeher als angemessener Ort des Auswählens und Erwerbens von neuem Lesestoff gelten. Kurzum: Der Träumer will „seine” Buchhandlung aufsuchen, will sich mit „seinem” Buchhändler besprechen – um aus der allgemeinen Fülle eine persönliche Fülle von Büchern auszuwählen, die ihm anregende und erhellende Stunden versprechen.

Traum wird Albtraum: Der Mann irrt bald rastlos, ratlos durch die Straßen, findet weder die ihm vertraute noch irgendeine Buchhandlung. Danach gefragte Passanten glotzen, verweisen auf „Internet, Amazon”. Und er begreift, dass die Welt realer Bücher sich aus der realen Welt verabschiedet hat. Dass in dieser Stadt Bücherkauf nie mehr verbunden sein wird mit neugierigem Stöbern in Bücherbergen, mit Blättern in Neuerscheinungen aus Papier. Dass Plaudern mit leibhaftigen Buchverkäufern oder -käufern über Lektüren nie mehr zum Bücherkauf gehören wird. Ist eine Stadt, in der es das nicht mehr gibt, noch eine Stadt?, fragt sich unser Mann. Im Traum fühlt er sich nun heimatlos.



Nur ein Albtraum? Folgt man Krisenberichten aus 20 Jahren über die Buchbranche, dann geht es mit den ortsansässigen Buchhandlungen unaufhaltsam dem Ende zu. Bundesweite Filialketten, mehr noch der online-Buchhandel via Amazon würden den inhabergeführten Buchläden am Ort den Garaus machen, heißt es. Glaubt man indes den jüngst vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels verbreiteten Infos, so liegt auch eine Trendverschiebung im Rahmen des Möglichen. Danach gehen die Umsätze im Online-Buchhandel schon im zweiten Jahr hintereinander zurück.

6000 stationäre Buchhandlungen gibt es in Deutschland noch. Neben hunderten Filialen der neun überregionalen Ketten sind das in großer Zahl mittlere, kleine und kleinste Geschäfte vor Ort. Gerade in diesem Segment seien die Umsatzeinbußen 2014 mit 1,2 Prozent deutlich geringer ausgefallen als in der Branche insgesamt. Das sagt der Börsenverein und mag eine Verstetigung der Tendenz nicht ausschließen, wonach örtliche Buchhandlungen als gefragte kundennahe Erlebnis-, Beratungs- und Einkaufsräume zu neuer Bedeutung gelangen. Immerhin wird anhaltend fast die Hälfte aller Bücher eben dort gekauft. Zugleich jedoch sinkt von Jahr zu Jahr die Zahl der Buchhandlungen, geht laut Börsenverein auch die Besucherfrequenz stetig zurück.

Was nun, Totenglöckchen oder Festgeläut? Ich wollte es konkret wissen, habe mich deshalb mit den letzten zwei selbstständigen Buchhändlern in der Koblenzer Innenstadt verabredet: Eberhard Duchstein, Inhaber der Buchhandlung Reuffel, und Ernst Heimes von der Buchhandlung Heimes. Erste erfreuliche Feststellung dabei für den Amazon-Verächter und Freund „richtiger” Bücher, dem der Besuch im Buchladen nach wie vor als genussvoller Teil seiner Lesekultur gilt: Beide wollen von Totenglöckchen nichts wissen. Zwar räumen sie ein „das Geschäft ist nicht einfacher geworden.” Doch können beide keinerlei Anzeichen erkennen, dass sie absehbar den Bettel hinschmeißen müssten.



Bemerkenswert, dass der Befund bei zwei so unterschiedlichen Buchhandlungen gleichlautend ausfällt. Heimes gehört mit Mitinhaberin Dorothee Mendner, vier Angestellten und seinem Laden im Entenpfuhl zu den „kleinen” Buchhandlungen. Reuffel hingegen ist mit Inhaberehepaar Ruth und Eberhard Duchstein, fast 100 Beschäftigten für das Stammhaus auf der Oberen Löhr sowie Filialen in der Koblenzer Fußgängerzone, in Mayen und Montabaur der größte Buchplayer am Mittelrhein. Beide gehören seit Jahrzehnten zur Rhein-Mosel-Stadt. Reuffel seit etwa 70 Jahren. Heimes begann 1983 mit einem Szene-Buchladen, der als Teil der Alternativ-/Antiatom-Bewegung angelegt war, sich später zum Vollsortimenter wandelte.

In den 80ern, erinnern sich meine Gesprächpartner, gab es im Stadtgebiet Koblenz fast ein Dutzend Buchhandlungen. Deren Sterben hatte allerdings mit dem Internet nichts zu tun. Die meisten waren schon hinüber als der US-Konzern Amazon in den späten 1990ern begann, das Leben der Deutschen zu durchwuchern. Heimes und Reuffel haben diese Periode ebenso überlebt wie die meist nur vorübergehenden Gastspiele auswärtiger Großfilialisten in Koblenz. Beide hatten schon vor dem großen Amazon-Boom ihren Service durch eigene Internetshops erweitert. Beide bieten ihren Kunden heute diverse Auswahl-, Bestell- und Vertriebswege nebeneinander an: per Internet, per Telefon, per Ladenbesuch, wahlweise zur Lieferung nach Hause oder Abholung in der Buchhandlung.

Was schnelle und bequeme Bestellung/Lieferung neuer Bücher angeht, wäre kein Mensch hierzulande auf Amazon angewiesen. Dank deutscher Buchpreisbindung kann der US-Riese neue Bücher auch nicht billiger anbieten als Reuffel, Heimes und andere Regionale. Wie sagt Duchstein: „Man darf nicht schlafen, muss die moderne Infrastruktur vorhalten und immer wieder auf neuesten Stand bringen.” Ohne das geht es bei sich weiter differenzierendem Kaufverhalten auch der Buchfreunde nicht. Doch ist für das Überleben örtlicher Buchläden etwas Anderes kriegsentscheidend. Was, das kommt schön im folgenden Satz aus dem Jahresbericht 2014 des Börsenvereins zum Ausdruck: „Der Buchhändler legt seinen Kunden Bücher nicht in den Warenkorb, sondern ans Herz.”

Ernst Heimes formuliert es so: „Eine Buchhandlung, die sich nur als Verkaufsstelle versteht, hat nichts verstanden.” Eberhard Duchstein legt nach: „Unsere Zukunftsperspektive ist der Buchhändler als engagierter, dem Kunden vertrauter Berater und die Buchhandlung als Erlebniswelt rund ums Buch.” Aus diesem Bewusstsein resultiert bei beiden u.a. ein opulentes Veranstaltungsangebot – von der klassischen Autorenlesung über die Kriminacht bis zum Bücherfrühstück, von Frauenliteraturabend übers literarische Konzert bis zu Besuchen der Buchhändler in Kindergärten oder von Schulklassen in der Buchhandlung. Ich werde schließlich das Gefühl nicht los, dass hier zwei Buchhändler sogar ein bisschen erleichtert sind über jüngste Ergebnisse der Buchmarktforschung, die ihnen wieder höchste Aufmerksamkeit für jenen Kernbereich empfehlen, dem ihre Liebe seit jeher gilt: den Büchern und ihrer persönlichen Vermittlung an die heimische Leserschaft.

Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
4./5. Woche im Januar 2014)

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