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2015-01-15 Ballettkritik:

Neues Hessisches Staatsballett zeigt erstes abendfüllende Handlungsballett

Aschenputtel und Prinz
gehen ihren eigenen Weg


 
ape. Wiesbaden. Das von den Staatstheatern Wiesbaden und Darmstadt neu gebildete Hessische Staatsballett stellte jetzt sein erstes abendfüllendes Handlungsballett vor. Compagniechef Tim Plegge hatte dafür „Aschenputtel” gewählt. Das große Wiesbadener Haus war zur Premiere trotz Fastnacht ausverkauft. Befürchtungen, der Märchenstoff könne zwischen aktuellen Ausdeutungen und modernen Tanzformen verloren gehen, bestätigten sich nicht. Am Ende gab es starken Applaus für eine ästhetisch teils fast etwas altmodisch wirkende, aber ansprechende, tänzerisch hochkarätige, stringent erzählende und klug interpretierende Choreografie.
 


Der zweistündige Abend stützt sich musikalisch vor allem auf Prokofjews Ballettmusik von 1945. Das Wiesbadener Staatsorchester unter Benjamin Schneider hebt dabei feinnervig auf die Charakterisierung der Personen ab. Das passt trefflich zu Plegges Ansatz, das Ballett auf die Persönlichkeitsentwicklungen der Zentralfiguren Aschenputtel und Prinz zu konzentrieren. Weshalb er sich auch nicht am 1945er Libretto orientiert mit dessen steter Verschlingung von Realität und Feen-Welt, sondern – wie schon John Neumeier 1992 – an der mehr diesseitigen Fassung der Gebrüder Grimm. Aus der darin hilfreichen weißen Taube wird in Wiesbaden eine Schar „schwarzer Vögel”. Zu eigens von Jörg Gollasch dafür komponierten drei kleinen Klangstücken taucht diese heftig bewegte Truppe stets auf, wenn Aschenputtel einen Kraftimpuls benötigt.

So ertanzt Valeria Lampadova eine Titelfigur, die nach dem Tod der Mutter als verstörtes Mädchen unter die Fuchtel der vom Vater neu geheirateten Frau nebst deren zwei kiebigen Töchtern gerät. Von denen wird es drangsaliert, zum Underdog gestempelt. Dagegen entwickelt Aschenputtel nach Wiesbadener Lesart bald einen gerechten Zorn, der es als aufbegehrende junge Frau beim königlichen Ball in die Liebe zu einem anderen Außenseiter treibt: zum Prinzen, der bei Vitek Korinek nichts wissen mag von Thronfolger-Pflichten und gegen höfische Zumutungen aufmuckt. Lieber stapft er in Raumfahrerkluft umeinander und verliert sich beim Blick durchs Teleskop in Träumen vom Weg zu den Sternen.

Das ist eine interessante Eigenmächtigkeit des Choreografen, macht sie doch die nichtssagende Edelfigur des Prinzen aus dem Märchen zu einen tatsächlichen Charakter – und entwickelt zugleich eine Schlüssigkeit für die spontane Hingezogenheit der beiden Außenseiter zueinander. Dass Prinz und Aschenputtel umrahmt von Lichterglanz in einer kitschigen Happy-end-Szene liebesduselig per Zeitlupenlauf ihren Traumsternen entgegenschweben, ist wohl als  augenzwinkerndes Tüpfchen auf der sonst recht ernsten Produktion zu verstehen.

Tänzerisch orientiert sich diese an Stilen aus dem frühen und mittleren 20. Jahrhundert. Weder Spitzentanz noch moderne Avantgard, stattdessen ausgreifender, weich schwingender und frei gestaltender, an Mary Wigman und Gret Palucca erinnernder Ausdrucksfluss. Die größte Stärke zeigt sich im Kleinen, an Stimmungen, Charaktereigenschaften und deren individueller Entwicklung:  Korineks Ambivalenz zwischen Widerspenstigkeit und Angst vor der Elternmacht; Lampadovas Entwicklung von Verstörtheit zu fraulicher Autonomie; der Stiefschwestern (Claudia Arraiza, Anissa Bruley) Heimtücke zwischen scheinbarer Freundlichkeit und schikanöser Boshaftigkeit gegenüber Aschenputtel. Für all dies und mehr findet Plegge dichte, schlüssige, berührende Körper- und Tanzausdrücke.

Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-wiesbaden.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 16. Februar 2015)


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