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2015-02-26a Ballettkritik:

Tanzmainz hinterfragt mit „much / less” von Giuseppe Spota Lebensqualität der Smartphone-Generation

Marionetten am digitalen Gängelband

 
ape. Mainz. Die Tanzsparte des Mainzer Staatstheaters brachte jetzt ihre jüngste Produktion in der Spielstätte U 17 tief unter dem Kleinen Haus zur Premiere. „much / less” ist die nur mit fünf Tänzerinnen, zwei Tänzern, dem DJ Daniel Agema und dem Schlagzeuger Florian Schlechtriemen besetzte Uraufführung von Gastchoreograf Giuseppe Spota betitelt. Sie wendet sich vornehmlich an junges Publikum ab 14 Jahren, bietet aber auch älteren Zusehern 65 Minuten ansprechende, anrührende, nachdenklich stimmende Tanzkunst modernen Zuschnitts.



Hauptrequisit sind rechteckige Metallrahmen unterschiedlicher Größe (Bühne: Spota und Lucia Vonrhein). Mal werden sie zu Türmchen und Kisten gestapelt, in denen einsame Akteure mit elektronischen Bildprojektionen von Mitmenschen plaudern oder Duos/Gruppen trotz Gedränges kein Miteinander finden. Mal sind sie den Tänzern als dominantes Utensil in die Hand gegeben, um- oder angehängt. Von einem hohen Podest aus treibt der DJ mit Techno-Beats das Geschehen an. Ihm zur Seite eine Tänzerin (Gili Goverman), die sich als „Operating System” vorstellt, das alle Wünsche der User zu erfüllen verspricht.

„much / less” lässt viel Interpretationsspielraum. Sobald man aber die Rechteck-Rahmen als Sinnbilder für TV-, PC-, Laptop-Bildschirme und Smartphones assoziiert, werden die Gedanken gerichtet: auf die Choreografie als Frage, ob umfassende permanente Präsenz digitaler Kommunikation mehr oder weniger Lebensqualität bedeutet. Da ertanzen sechs junge Leute eine häufig zu roboterhafter Ruckigkeit neigende Bewegungstypografie, die etwa folgende Merkmale vereint: alle wirken allweil gehetzt; bei allen flattern die Finger tippend, wischend, Kurzzeichen signalisiernd; jeder ist ständig mit Eigendarstellung oder Übersetzung von Wahrnehmung in digitale Botschaften beschäftigt; selbst in der Gruppe bleibt jeder im Grunde für sich; wo in Kollektivformation getanzt wird, geschieht das in modischer Uniformität.

Sogar (kurzzeitig) Liebende sind durch Vernetzung zwar permanent verbunden, aber durch ebenso permanente Zugkräfte von außen an echter Zweisamkeit gehindert. Schließlich übernimmt es das Operating System, den Akteuren Trend-Outfits vorzugeben und sie wie Marionetten tanzen zu lassen. Das Schlussbild zeigt System und Menschen zu einer undifferenzierbaren Masse in einen Käfig aus Metallrahmen gequetscht.

Spota betreibt nicht etwa kulturkritische Agitation per Ballett. Selbst zur unter digitalen Bedingungen aufgewachsenen Generation gehörend, hat er mit den Tänzern eine Szenenfolge erarbeitet, die dem Einflussprozess von Big Data als teils freiwillig angenommene, teils sich einschleichende, teils mit Lockungen oder via Gruppendruck sich durchsetzende Veränderung des Menschlichen nachspürt. Das tänzerische Repertoire vereint Elemente aus Disco-, Techno-, Break-. Streetdance mit klassisch-modernem Ausdruckstanz und freien Formen – zu einer dichten, an dynamischer Spannung reichen Ensembleleistung. Sehenswert.

Andreas Pecht

Im Text nicht namentlich genannte Tänzer/innen:
Amy Josh, Charlotte Petersen, Lena Schattenberg, Ciulia Torri, Mattia De Salve, Thomas Van Praet.

Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 27. Februar 2015)


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