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2015-03-23 Ballettkritik:

Ballett Koblenz verknüpft mit "Swan Maidens" von Cathy Marston" Ibsen und diverse Schwanen-Sagas


Interessanter Ausbruch aus dem traditionellen Ehegefängnis

 
ape. Koblenz. „Unten fällt dröhnend eine Tür ins Schloss”, heißt es am Ende von Henrik Ibsens Schauspiel „Nora oder ein Puppenheim” aus dem Jahr 1879. Die Titelfigur ist aus dem Gefängnis ihrer Ehe ausgebrochen und macht sich auf in ein selbstbestimmtes Leben. Ihre Namensschwester im jüngsten Ballettabend „Swan Maidens” am Theater Koblenz geht einen ähnlichen Weg, aber auf andere Weise: Indem sie sich zum sinnbildlichen Schluss in einen Schwan verwandelt und den Mannszumutungen entflieht, entfliegt – wie es Schwanenfrauen schon in der isländischen Edda-Saga oder in altehrwürdigen Mythen Asiens und anderer Kulturkreise taten.
 



Erstmals seit vielen Jahren hat eine Gastchoreografin mit der Koblenzer Compagnie einen Abend kreiert. Typisch für die Britin Cathy Marston ist, dass sie Choreografien aus Darstellungsvorschlägen der Tänzer am Ort ihres jeweiligen Engagements entwickelt. Weshalb das 90-minütige „Swan Maidens” bewegungsstilistisch der in Koblenz gepflegten neoklassischen Grundrichtung treu bleibt. Insofern darf diese Produktion als interessanter Beitrag gelten zur allgemeinen Diskussion, ob neben dem modernen Tanztheater auch das abendfüllende erzählerische Handlungsballett einen relevanten Platz in der zeitgenössischen Tanzkunst behaupten kann.

Das Bühnengeschehen ist in zwei Handlungsebenen geteilt: Hier reale Ehetragödie, dort fantastische Schwanensaga. Erstere erzählt von Noras schwerkrankem Mann, dessen gute Behandlung im Krankenhaus die Frau erkaufen muss, indem sie sexuelle Übergriffe des Chefarztes (Rory Stead) erduldet. Eben solchen „Ehe- und Ehrbruch” macht der gesundete Gatte ihr nachher zum Vorwurf. Die Saga erzählt derweil vom Jäger, der einer jungen Schwanin die Flügel entwendet und derart ihrer beider Liebe zueinander in Zwangszweisamkeit verwandelt.       

Die Kostüme von Ines Alda verorten Noras Realität in den 1950ern, mit Männern in häuslichen Strickjacken über Hemd und Krawatte oder mit Krankenschwerstern unter weißen Häubchen und auf uniformen Absatzschuhen. Noras visionäre Sehnsuchtswelt indes ist belebt von „Schwanenjungfrauen” in lichten, himmelblauen kurzen Kleidchen. Einerseits also altbackene Gesellschaftsstrenge, andererseits zeitlose Märchenhaftigkeit in der Funktionstradition des klassischen Ballett blanc. Jann Messerlis Bühnenbild scheidet die beiden Welten mittels weißer Schnurlinien im Raum, die mal Wolkenklandschaften, mal Hausumrisse skizzieren.

Ähnlich signifikant die Zuordnung der ausgewählten Musikteile, von der Rheinischen Philharmonie unter Joseph Bousso ebenso klangschön wie expressiv differenziert ausgeführt: Zur Schwanenwelt erklingt Spätromantik von Sibelius; die kalte Maschinerie des Krankenhauses ist in die scharfe Disharmonik von Haflidi Hallgrimssons 1982 komponierten „Poemi” gepackt; zur sich zuspitzenden Auseinandersetzung zwischen Nora und ihrem Gatten passt die vielschichtige musikalische Dramatik Lutoslawkis.

Tänzerischer Höhepunkt des Abends ist ein Pas de deux von Kaho Kishinami (Schwan) und Arkandeusz Glebocki (Jäger). Da treffen in frei gestalteten, dichten Hebe- und Umschlingungsfiguren beidseitige Ambivalenzen aufeinander und ringen miteinander: Die zwei lieben sich, doch in der Schwanin Hingabe schwingt die Sehnsucht nach beflügeltem freiem Selbst mit; des Jägers Zärtlichkeit und Begehren hingegen ist zugleich vom Wunsch durchdrungen, die Geliebte an sich zu fesseln und zu beherrschen.

Inszenatorischer Höhepunkt ist das inhaltliche Spiegelbild dieser Szene in Noras Realwelt: der Gatte (Michael Waldrop) zum Männerensemble vervielfacht, Nora zum Frauenensemble, geht die Ehe vor die Hunde wegen der verknöcherter Selbstherrlichkeit von Männern, die Frauenliebe und gleichzeitiges Bedürfnis nach fraulicher Freiheit nicht begreifen. Ein spannender, ein berührender Abend, der durchaus für eine anhaltende Bedeutung des Handlungsballetts sprechen kann. Gerade deshalb aber bleiben zwei Fragen. Warum siedelt Marston ihre Choreografie inhaltlich, stilistisch und ästhetisch in den 1950ern an? Und warum hängt Lisa Gottwik als Nora selbst beim emanzipatorischen Befreiungsschlag so sehr dem ballettösen Gram-Gestus des mittleren 20. Jahrhunderts an – statt sich der Elemente starker, selbstbewusster Fraulichkeit zu bedienen, die das moderne Ballett jüngst international geradezu prägen.

Sie könnte das, denn sie ist während ihrer drei Jahre in der Compagnie zu einer Tänzerin herangereift, deren Ausdruck über bloß tanztechnische Versiertheit hinausreicht. Was für einige ihrer Kollegen/innen sichtlich nicht gilt, die Tanzchef Steffen Fuchs im Zuge der nötigen Verjüngung seines Ensembles nach Koblenz geholt hat. Da gibt es noch reichlich Arbeit, bis in schulmäßiger Äußerlichkeit sich bewegende Eleven die Sphären beseelten Tanzausdrucks erreichen, den Gottwick und Stead, vor allem aber Kishinami und Glebocki hier in der Stadttheater-Klasse zeigen. 

Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-koblenz.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einer etwas kürzeren Fassung außerhalb dieser website am 23. März 2015)


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