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2015-03-27 Feature:

Konstantin Wecker auf Jubiläumstour
„40 Jahre Wahnsinn”


Zwischen Zärtlichkeit und Wut


ape. „Wir, die 68er, hatten die alten Nazi-Scheilschaften entlarvt,” erklärt der Senior auf der Bühne. Weil aber das braune Unkraut immer wieder nachwächst, wird er all die Jahre seines Schaffens jenes Lied über den von Neonazis erschlagenen Willy nicht los, das ihn 1977 berühmt machte. Immer wieder gewinnt es leider neue Aktualität, weshalb es auch diesmal als Abenderöffnung passt. Das sagt er nicht, aber jeder im Saal weiß, dass er eben dies denkt. Denn man kennt einander seit Jahrzehnten: Konstantin Wecker und sein Publikum in der Koblenzer Rhein-Mosel-Halle sind Altersgenossen, Weggefährten, Geschwister im Geiste und oft im Herzen. So hängen Musiker und Konzertbesucher gemeinsam Erinnerungen an „40 Jahre Wahnsinn” nach, wie die Tournee zum Bühnenjubiläum überschrieben ist.



Der wohl erfolgreichste und auf seine ureigene Weise beständigste Vertreter der deutschen Liedermacher-Kultur wird in zwei Jahren 70. Es wäre vermessen, zu erwarten, er solle wie einst die vollfleischliche, ungebärdige Rampensau geben; solle im Zorn auf den Gang der gesellschaftlichen Dinge und in maßloser Lust auf Zärtlichkeit literweise Schweiß verströmen. Der Musikant ist alt geworden, und sehr, sehr reif – verglichen mit früher. Einige im Saal erinnern sich noch an einen seiner ersten Auftritte in der hiesigen Region, Anfang der 1980er auf der Loreley. Damals gaben sich Wecker, Ludwig Hirsch, Georg Danzer, Bettina Wegner, die große Joan Baez und andere auf der Freilichtbühne ein Stelldichein, um im Zeichen von Friedens-, Umwelt- und neuer sozialer Bewegung mit ihren Liedern den Geist der Empörung und Widerständigkeit, des Friedens und der Liebe zu beschwören.

„Genug ist nicht genug / ich lass mich nicht belügen. / Schon Schweigen ist Betrug, / genug kann nie genügen” sang Wecker damals, singt er heute wieder. Der Song klingt jetzt anders, verspielter, jazziger, zugleich wie überzogen von melancholischer Tönung. „Runter auf die Straße / und dann renn ich jungen Hunden hinterher”: Das hat diesmal etwas von wehmütig lächelndem Blättern in vergilbenden Fotoalben. Und doch lebt er noch, der alte Kritikergeist, ist gewiss Nostalgie geworden, dennoch politisches Statement geblieben. „Auf den Dächern hockt ein satter Gott / und predigt von Genügsamkeit” – die Lyriks von ehedem passen zur heutigen Welt fast besser als zur gestrigen.

In der Koblenzer Halle wiegt sich eine Zuhörerschaft verhalten dazu, die in übergroßer Mehrheit der Generation 60plus angehört. Schwung, Übermut, vielleicht auch Mut sind raus;  das rauschhaft Renitente und Libidinöse eines Wecker-Konzerts ist nur mehr Erinnerung: an eine Zeit, da  Gewissheit bestand, dass die Gedanken frei sind, dass ein besseres, menschlicheres Leben möglich sei – und keine schon den Kindern angezüchtete Karrieresucht, kein Google-Algorhythmus sich Hirn nebst Herz und Leibeslust bemächtigten. Zusammen mit drei famosen Musikern, die vom Alter her seine Kinder sein könnten, spielt der Barde inhaltlich und musikalisch mit dem Volkslied über die Gedankenfreiheit wie mit etlichen seiner eigenen Songs. Er passt sie aktuellen Gegebenheiten an, schlägt so die Brücke vom alternativen Aufbruch der 60er/70er/80er zum Heute.

Konstantin Wecker bloß ein ewiger, unverbesserlicher Lehrmeister wider den bürgerlichen Mainstream? Das wäre ein Missverständnis. Er ist leiser geworden, poetischer, mehr Chansonnier als Liedermacher; das sängerische und dichterische Nachdenken über die Endlichkeit des Lebens nimmt breiten Raum ein an diesem Abend. So ist er Spiegelbild, Stellvertreter, Synonym der graumelierten Generation im Saal. Altersweisheit? Davon aber mag er nichts wissen, denn zu groß noch ist die Lust auf Leben und Lieben, auf miteinander Reden, Singen und Tanzen. Humorige Musikpersiflagen und Spracheskapaden nach Dada-Manier zeugen vom homo ludens, vom spielenden Menschen, der Wecker stets gewesen ist.

Aussöhnung mit dem System? Davon mag er erst recht nichts wissen: Zu groß der Zorn auf eine Weltmaschine, in die vorne Leben hinein gesteckt wird, damit hinten möglichst viel Geld, nichts als Geld herauskomme. Weshalb zum Ende des Konzerts das betagte Auditorium wieder entflammt ist – von der Ermutigung „Werde ganz! Zwischen Zärtlichkeit und Wut tut das Leben richtig gut.”

Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
27. März 2014)

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