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2015-04-21 Schauspielkritik:

 „Verbrennungen” von
Wajdi Mouawad in Mainz: Ehrliches Theater von bewegender Kraft

Mutterleid in Zeiten
des Bürgerkrieges


 
ape. Mainz. Das Stück fängt ganz klein an. An einem Tisch auf der Vorderbühne eröffnet im Heute ein Notar den Zwillingen Jeanne und Simon das Testament ihrer Mutter Nawal. So beginnt im Mainzer Staatstheaters ein Spiel, das während zweieinhalb Stunden die beiden jungen Leute durch eine Tragödie bald Shakespear'scher Dimension treibt. Wajdi Mouawads „Verbrennungen” aus dem Jahr 2003 handelt von einer Familiengeschichte, deren Anfänge im libanesischen Bürgerkrieg der 1970er liegen. Klaus Schumachers Inszenierung erzählt sie getreulich, verständlich, glaubwürdig – und erschüttert uns damit bis ins Mark.


Die Wünsche der Verstorbenen sind seltsam. Der Tochter, Mathematikstudentin Jeanne. ist ein Umschlag hinterlassen, den sie dem ihr unbekannten Vater geben soll. Für den Sohn, den Amateurboxer Simon, gibt es gleichfalls einen Umschlag. Der ist für einen Bruder bestimmt, von dessen Existenz die Zwillinge bis eben gar nicht wussten. Die beiden nie gesehenen Verwandten sind irgendwann, irgendwo in den Wirren des Bürgerkrieges verschollen. Diese zu finden, ist vordringliche Aufgabe der Erben. Sie zwingt zur Reise von der westlichen Migrationsheimat ins nahöstliche Herkunftsland und zum Eintauchen in die Lebensgeschichte Nawals, aus der sich die eigene Herkunftgeschichte ergibt.

Will man überhaupt zutage fördern, was die Vergangenheit in jenem Land des Krieges, der Flucht,  Folter und Massaker auf allen Seiten an Fürchterlichem bereithält? Die Zwillinge begeben sich widerwillig auf die vagen Spuren, die von der Wanderung ihre Mutter geblieben sind. Sie treffen auf eine große Liebe, derentwegen Nawal von der Familie verstoßen wurde; auf Erinnerungen an ihre Suche nach dem Geliebten, dann nach dem gemeinsamen Kind, das der Krieg ins Unbekannte verschlug. Sie stoßen auf die Legende von Nawal – von der singenden Frau, die Kämpferin war und Gefangene, Vergewaltigte, Geschwängerte und erneut ihrer Kinder Beraubte...

Der aus dem Libanon stammende Autor hat aus zeitlichen wie örtlichen Sprüngen und Überblendungen einen auf finale Aufklärung ausgerichteten packenden Spannungsbogen geformt. Diesem folgt Schumachers Regie szenisch mit klug eingesetztem Theaterhandwerk. Veränderungen des Lichts, der Raumtiefe, der Kostüme, dazu wohl überlegte Personalaufstellungen oder Schattenspiele: Dies alles lässt im Tragikspiel vor, zwischen und hinter weißen Tuchumfassungen der Bühne (Katrin Plötzke) keinen Moment Verwirrung aufkommen. Auch keinen der Entlastung vom Leid, das Menschen einander zufügen. Und von der Stärke, die einigen erwächst aus der Liebe zu Menschen.

Entsprechend fällt auch die Spielweise des Ensembles aus. Es agiert in ehrlichem, unverkünsteltem, aber überwiegend kunstvollem Realismus. Vorneweg Andrea Quirbach als Nawal. Es ist ein Erlebnis, wie sie ihre Figur  durch diverse Gemütszustände und Altersstadien vom verliebten, kecken Mädchen bis zur barmenden Mutter springen lässt. Armin Dillenberg legt in mehreren Rollen ein starkes Zeugnis fein ausformender Vielseitigkeit ab. Was Lilith Häßle mit ihrer Jeanne da macht, ist eine große Nummer für sich: Je mehr die Studentin über ihre Mutter erfährt, umso mehr verfallen in kleinsten Abstufungen Gesicht und Körperspannung der jungen Schauspielerin. Atmosphärische Wucht, die aus schierer Unscheinbarkeit erwächst.

Zum Ende taucht ein von Matthias Lamp als mordlustiger Irrer und zugleich Opfer der Verhältnisse gespielter Scharfschützte auf. Mit dieser Figur erklären sich schließlich alle Schicksale auf eine Art, die nur mehr Weinen übrig lässt. Langer Beifall vom bewegten Premierenpublikum.


Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Publikumsmedium außerhalb dieser website am 21. April 2015)


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