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2015-04-25 Schauspielkritik:

Jan-Christoph Gockel macht aus Joseph Conrads Roman am Theater Bonn eine giftige antikoloniale Farce

Das „Herz der Finsternis”
liegt in Europa


 
ape. Bonn. Der auf Mainzer und Bonner Bühnen regelmäßig vertretene Regisseur Jan-Christoph Gockel war in Afrika. Dort hat er intensiv über Vergangenheit und Gegenwart des Schwarzen Kontinents recherchiert. Daraus sind bereits zwei Theaterprojekte erwachsen: „Kongo-Müller” in Stuttgart und in Burkina Faso (!) „Coltan-Fieber”. Jüngster Ausfluss seiner Beschäftigung mit Afrika ist eine Bühnenbearbeitung von Joseph Conrads Roman „Herz der Finsternis”. Das Ergebnis erlebte jetzt seine mit starkem Beifall bedachte Premiere in der Halle Beuel des Theaters Bonn.

Ins Zentrum der weiten Schauspielhalle hat Julia Kurzweg ein recht ramponiertes Flussschiff gebaut, ein Mix aus dem Bootchen im Filmklassiker „African Queen” und dem Dampfer in Werner Herzogs „Fitzcarraldo”. Das passt zu Zeit und Umständen, über die der Seemann Marlow in Conrads Roman von 1899 erzählt: Im Wettstreit der Kolonialmächte um Afrika greift der weiße Mann gierig auch nach den letzten weißen Flecken auf der Landkarte. Im Theater wird das symbolisiert durch eifersüchtiges Grapschen nobler Herren nach möglichst großen Stücken aus einem Biskuitkuchen.

Die Szene mag stellvertretend stehen für die Machart der gut zweieinhalb Stunden dauernden Produktion. Gockel theatralisiert nicht einfach den Roman. Stattdessen formt er aus einigen von dessen Handlungselementen, angereichert mit allerhand Fremdtext, eine Art politischer, zynischer Farce. Der Kuchenstreit etwa wird gespickt mit Zitaten aus dem Protokoll der Berliner Kongo-Konferenz von 1885; die im Spiel angesprochenen Massaker an Eingeborenen werden mit Ausschnitten aus dem Film „Kommando 52” von 1965 hinterlegt.

Vieles sieht in Bonn aus wie Klamauk, erweist sich indes rasch als  zornige Anklage unmenschlicher, ausbeuterischer, scheinheiliger Herrenreiter-Denke. Der Kolonialherr beglückt Männer, die sich in lachhaften Adaptionen von Eingeborerenschmuck wie Affen aufführen, mit den Segnungen der Zivilisation: Mittels Stock und Pistole lehrt er sie christliches Beten und drückt ihnen Gewehre in die Hand, auf dass sie in seinem Interesse jagen gehen: Elefanten des Elfenbeins wegen, einheimische Menschen und Bodenschätze.

Der Herr wird gespielt vom einzigen Farbigen im Ensemble. Die zu kolonisierenden Affen sind die vormaligen Kolonialoffiziere. Und die einzige Frau im Stück ist die konsterniert den Gräueln zuschauende Europa, die gleichwohl geil auf einem riesigen Stoßzahn reitet. Der Abend hat Längen dort, wo die Inszenierung versucht, jenen Komponenten des Romans gerecht zu werden, die vom Einsickern der afrikanischen Urgröße und Fremdheit ins Unterbewusste der europäischen Protagonisten erzählen. Da verweigert Literatur den theatralischen Zugriff.

Hingegen ist die Inszenierung groß, wo Benjamin Grüter, Alois Reinhardt, Laura Sundermann, Komi Togbonou, Hajo Tuschy und David Schliesing mit giftiger Persiflage europäischen Überlegenheitswahn und dessen verbrecherische Ausflüsse bloßstellen. Am Ende neigt sich das  Schiff zur Seite, kentert – und Togbonou erklärt, dass die Finsternis Afrikas nun (heute) dorthin zurückkehrt, woher sie stammt: übers Mittelmehr ins Herz Europas.


Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-bonn.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Publikusmedium außerhalb dieser website am 25. April 2015)

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Aus meinem Archiv: Besprechungen früherer Inszenierung von Jan-Christoph Gockel in Mainz und Bonn

∇ 2015-03-01: Jan-Christoph Gockel inszenierte in Mainz „Die Ratten” von Gerhart Hauptmann

∇ 2014-10-06: Jan-Christoph Gockel schaufelt  am Mainzer Staatstheater "Schinderhannes", Zuckmayer und allerhand mehr ins Wirtshaus

∇ 2013-11-12: „Metropolis“ im digitalen Zeitalter. Theater Bonn. Regie: Jan-Christoph Gockel

∇ 2013-03-11: Jan-Christoph Gockels Projekt "Grimm. Ein deutsches Märchen" am Staatstheater Mainz

∇ 2011-12-18: Schillers "Die Räuber" am Staatstheater Mainz. Regie: Jan-Christoph Gockel


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