Theater
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2015-05-18a Tanzkritik:

Hofesh Shechter Compagnie entzückt und entsetzt mit „Sun” bei Maifestspielen Wiesbaden


Giftige Groteske wider
den Kolonialismus


 
ape. Wiesbaden. Choreograf Hofesh Shechter und seine Compagnie sind eine überragende Größe der britischen Tanzszene. Auch international gilt der nach England ausgewanderte Israeli als Star. Dessen Kunst hängt freilich der Ruf an, kantig, zornig, verstörend zu sein. Was sich beim Gastauftritt mit der Produktion „Sun” bei den Wiesbadener Maifestspielen bestätigte.



Im Hessischen Staatstheater werden Gehörschutzstöpsel verteilt; der Saal ist mit Theaternebel geflutet. Eine Stimme aus dem Off donnert: „Ihr werdet uns nicht kriegen. Wir sind mitten unter euch”. Eine andere erklärt, es folge nun eine simple Story über Gut und Böse. Damit das Auditorium aber erkenne, dass alles gut ausgeht, beginne man mit der Schlussszene. Licht an: Die Compagnie bietet hübschen barocken Hoftanz. Nach zehn Sekunden: Licht aus, zurück auf Anfang – „Ihr werdet uns nicht kriegen...”.

Was die Truppe dann während 70 Minuten an Tanz bietet, ist faszinierend: eine temporeiche, ausdrucksstarke Melange artifiziell verfremdeter Volkstanzelemente von jüdischem Hora und griechischem Sirthaki über schottischen Schwertkreuz- und kosakischen Soldatentanz bis zur alemannischen Springprozession. Da toben die 13 Tänzer/innen wild über die Bühne. Was zuerst wie chaotische Enthemmtheit aussieht, erweist sich rasch als sorgsam durchchoreografierte Vernetzung raffinierter Formationswechsel. Leichtigkeit und Erdenschwere verschmelzen ebenso bravourös wie Schnelligkeit und vermeintlicher Stillstand, schäumender Übermut und filigrane Zartheit.

Das alles verbindet sich zu einem scheinbar wie beiläufig, ja spielerisch erreichten Höchstmaß an Akkuratesse. Doch Shechter wäre nicht Shechter, ließe er das Publikum ungestört in Entzücken baden. Das Fest kippt mehrfach in rüde Gewaltexzesse ab. Der Soundtrack dazu ist eine Montage aus Dudelsäcken und arachaischem Rhythmus-Continuo mit Teilen aus Wagners „Tannhäuser”, Volkstanzmusik, Barock-Elementen, Heavy-Metal-Gitarren und Beatles-Anklängen. Der Sound quält mal mit brachialen Klanggewittern, verbreitet gleich darauf freundliche Munterkeit.

Das musikalische Wechselbad findet seine Entsprechung in abrupten Wechseln des szenischen Geschehens. Hier eine Erzählebene, auf der von Tänzern geführte Holzschilder mit Abbildungen von Schafen und Wolf, von afrikanischen Kriegern und Kolonialoffizier aufeinander treffen. Dort eine Ebene, auf der die Compagnie ausgelassen und hochdynamisch ihr multiethnisches Volksfest feiert. Wolf frisst Schafe, Offizier massakriert Afrikaner: Das wird nicht gezeigt, macht sich aber nach jeweils entsetzlichem Schrei aus der Kulisse als Gedankenbild breit.

So wird das Publikum Teil einer giftigen Tanzgroteske wider alten und neuen Kolonialismus – bei der nach Shechters Unterstellung das Böse ins Gewand munterer Tänzer und genussvoll mit ihnen kollaborierender Zuseher geschlüpft ist. Weshalb die Donnerstimme aus dem Off als letzten Satz in den Saal schleudert: „Da habt ihr euer verficktes Finale!”

Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pulikumsmedium außerhalb dieser website am 18. Mai 2015)


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