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2015-12-02

Mainzer Dialog von Architekten und Konservatoren anlässlich des 50. Icomos-Geburtstages
 


Augen öffnen für die Bauten
der Spätmoderne


 
ape. Mainz. Was geschieht mit einem, der drei Tage lang Fachleuten beim Gespräch über Architektur der „Spätmoderne” lauscht und auf Großleinwand projizierte Beispiele derselben betrachtet? Was er vordem vielfach schulterzuckend bloß als quadratisch-praktisch aus Beton und Glas abgetan hatte, wird peu à peu hochinteressant. Der sensibilisierte Betrachter entdeckt das Sinnfällige, Wertige, ja die eigenwillige Schönheit manches Modernegebäudes. Eingedenk der Distanziertheit bis hin zu brüsk ablehnender Haltung von Teilen der Öffentlichkeit gegenüber Architekturen der zurückliegenden 50 bis 60 Jahre, formulieren die Teilnehmer einer Fachtagung in Mainz denn auch: „Um zu Wertschätzung der Bevölkerung für die Baudenkmäler unserer jüngsten Geschichte zu kommen, müssen wir die Menschen motivieren, genauer hinzuschauen.”
 


Zusammengekommen sind Vertreter zweier Berufsgruppen aus dem In- und Ausland, die ständig miteinander zu tun haben, sich aber nicht immer grün sind: Architekten und Denkmalpfleger. Anlass der Versammlung ist der 50. Geburtstag von Icomos. Die deutsche Sektion des Internationalen Rats für Denkmalpflege, der etwa die Unesco in Welterbefragen berät, wurde 1965 auf Initiative des damaligen rheinland-pfälzischen Landeskonservators in Mainz gegründet.

Statt in Feierlaune bloß zurückzublicken, wird das Jubiläum genutzt für einen Dialog zwischen Architekten und Konservatoren, der sich mit seit den 1950-/60ern entstandenen Bauwerken und Kulturdenkmalen auseinandersetzt. Dieses Thema ist keineswegs nur von akademischem Interesse, wie ein in Mainz mehrfach wiederholter dringlicher Hinweis verdeutlicht: 38 Prozent des deutschen Gebäudebestandes stammen aus den ersten Nachkriegsjahrzehnten – und werden jetzt geballt zur Sanierung fällig.

Die von Icomos, der Architektenkammer Rheinland-Pfalz und der Generaldirektion kulturelles Erbe (GDKE) gemeinsam veranstaltete Tagung findet im Mainzer Rathaus statt. Die Örtlichkeit ist mit Bedacht gewählt, stellt doch der derzeit am Ort wieder einmal heftig umstrittene 70er-Jahre-Bau der Architekten Arne Jacobsen und Otto Weitling ein in mehrfacher Hinsicht prominentes Beispiel für die vielerorts herrschende Problemlage dar.

Geballter Sanierungsbedarf allüberall


Das die Stadtfront zum Rhein hin öffnende Winkelgebäude mit seiner markanten Fassade (siehe Foto oben) zählt zu den wenigen herausragenden Modernedenkmälern in Rheinland-Pfalz. Doch es ist innen wie außen dringend sanierungsbedürftig. Zu lange wurde zu wenig daran gemacht; ein Umstand, den die Tagungsteilnehmer für Gebäude derselben Bauzeit überall in Europa attestieren müssen. Diese Nachlässigkeit verbindet sich mit dem Problem magelnder Akzeptanz vieler Modernebauten in der Bevölkerung.

Zwar ergeben Umfragen stets Dreiviertel-Mehrheiten für Erhalt des „historischen Bauerbes”. Doch werden darunter überwiegend Bauwerke von der Antike bis ins frühe 20. Jahrhundert verstanden. Der zeitliche Abstand zur Erbauungsepoche ist ein entscheidender Faktor für die Zustimmung des Publikums zur Schutzwürdigkeit von Gebäuden. Je größer der Abstand, umso eher. Das Dilemma der Spätmoderne aber ist: Sie kann nicht warten bis man sie als historisch wertvoll akzeptiert. Denn gerade bei den Nachkriegsbauten wurde oft am Material gespart, weshalb viele schneller erodieren als die allgemeine Wertschätzung für sie reift. In der immer kurzlebiger werdenden Gegenwart sind viele auch einfach schneller „aus der Mode” und technisch veraltet als ihre Werthaltigkeit und ihr Zeitzeugencharakter erkannt.

Vor dem Hintergrund des Kapitalwertes vor allem innerstädtischen Baugrundes wurde/wird deshalb  die Frage „Ist das wertvolle Architektur oder kann das weg?” allzu häufig kurzerhand mit der Abrissbirne beantwortet. Die Mainzer Tagung stellt dem eine Fülle anderer Ansätze entgegen: Aus dem Schulterschluss von Architekten und Denkmalpflegern resultieren praktische Sanierungskonzepte unter den Stichworten „Rettung durch Weiterbauen, durch nachhaltige Verbesserung, durch Neu- und Umnutzung…”. Dies auf Basis frühzeitiger gemeinsamer Bauforschung und Sanierungsplanung aller Beteiligen. Dies auch begleitet vom Gespräch mit der Öffentlichkeit.

Mainzer Stadtenwicklung im Landesmuseum

Passend zum Thema eröffnete das Landesmuseum Mainz zeitgleich die Ausstellung „Mainz – Ein Blick, viele Ansichten” (bis November 2016). Mit historischen Stichen, Gemälden, Plänen, Modellen, denen aktuelle Fotos gegenübergestellt sind, wird die Entwicklung des Stadtbildes über rund 300 Jahre versinnbildlicht. Gerade in Mainz stehen Bauwerke und Architekturen von Spätmittelalter und Barock bis zur Moderne dicht an dicht. Beim Rundgang wird deutlich, dass auch heute als ehern betrachtete historische Baudenkmäler stetem Wandel unterworfen waren. So änderte sich das Aussehen des Domes seit 1753 mehrfach. Deutlich wird ebenfalls: Das 1960er-Ideal der autofreundlichen Stadt hat arge Wunden in selbige geschlagen und mancher profane Gebrauchsbau jüngerer Zeit darf mehr als Bausünde denn gute Modernearchitektur gelten.
                                                                                      Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 1. Dezember 2015)

Infos zur Ausstellung „Mainz – Ein Blick, viele Ansichten” unter >>www.landesmuseum-mainz.de

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