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2016-01-25 Schauspielkritik:

Hinter Familienidylle tobt die Hölle

Tracy Letts' „Eine Familie (August: Osage County)” am Theater Koblenz: Starkes Stück in starker Umsetzung

 
ape. Koblenz. Diese Welt ist aus den Fugen, noch bevor ein Wort gesprochen. Bühnenbildner Jan Steigert hat Hauswände zum Fußboden gemacht. Darauf stehen nur ein paar Stühle, darüber hängt schief ein oller Kronleuchter. So geht denn die Weston-Sippe nicht nur sprichwörtlich, sondern quasi buchstäblich die Wände hoch. Zur Premiere kam am Samstag im Theater Koblenz „Eine Familie (August: Osage County)” von Tracy Letts – ein brillantes Stück in bester Tradition des Psychorealismus von Tschechow bis Tennessee Williams.
 


2007 in Chicago uraufgeführt, begann das Drama schon 2008 mit der deutschen Erstaufführung in Mannheim auch hierzulande zum Renner zu werden. 2013 verfilmte Hollywood den Stoff mit Meryl Streep und Julia Roberts. Der Erfolg des Stückes ist keineswegs selbstverständlich, denn seine Botschaft schien von den Dramatikern der bürgerlichen Epoche bereits erschöpfend durchdekliniert: Hinter der Fassade des Familienidylls toben Höllenfeuer.

Dass Autoren wie Jasmina Reza, David Mamet oder der 1965 im US-Bundestaat Oklahoma geborene Tracy Letts das Thema mit noch immer durchschlagender Resonanz aufgreifen können, spricht für dessen Virulenz auch in der heutigen Gesellschaft. „Eine Familie” wird oft als Tragikomödie bezeichnet, weil der Text zwischen den an einem Tag an einem Ort aufbrechenden Abgünden mannigfach schwarzen Humor bietet. André Bückers gut dreistündige Koblenzer Inszenierung geht damit vorsichtig um: Lachhaftes platzt zwar aus dem familiären Horror, versiegt indes rasch wieder in Bitternis.

Die Geschichte von der tablettensüchtigen, krebskranken Weston-Seniorin Violet – deren alkoholabhängiger Gatte und einstige Dichter Beverly nach wenigen Prologminuten per Suizid aus dem Stück verschwindet – ist in Koblenz eindeutig eine Tragödie. Wie Bücker sie liebevoll und klug einrichtet, das geht mit Atmosphäre und Spielleistung auf den meisten der 13 Positionen unter die Haut. Nach dem kurzen, aber intensiven Auftritt Georg Marins als zynischer, seines Lebens müder Beverly, wird Violet zum Angelpunkt der Geschehnisse am Tag der Beerdigung.

Was in Williams' „Katze auf dem heißen Blechdach” Big Daddy, das ist sie hier: eine das Geschehen dominierende Big Mama; eine große weibliche Altersrolle, in der Tatjana Hölbing ihr Können als Tragödin entfalten darf. Mal kreischt, greint, fantasiert sie erbarmungswürdig im Delirium; mal mischt sie ernüchtert die Sippe streit- und herrschsüchtig, beleidigend und boshaft auf; mal buhlt sie zerbrechlich um die Zuwendung ihrer drei Töchter. Drei Töchter? Ja, der Bezug auch zu Tschechow ist unverkennbar – und die feinsinnige Ausformung dreier völlig unterschiedlicher Charaktere durch Raphaela Crossey, Dorothee Lochner und Jana Gwosdek ein weiteres Bonbon des Abends.

Die dichten Charaktere auf der einen Seite werden ergänzt von trefflichen Typenzeichnungen bei der Familie von Violets Schwester Mattie. Claudia Felke spielt sie als schäumend-saftige Pomeranze, die auf allen rumhackt, besonders auf ihrem komplexbeladenen Sohn (Christopf Maria Kaiser). Mit einer markanten Stop-Suada weist sie Reinhard Riecke als ihr bis dahin duldsamer Gatte schließlich in die Grenzen, bringt zugleich ihr verwundetes Selbst zum Vorschein.

Dies alles und noch mehr bricht sich am Begräbnistag Bahn. Zerfleddert ist schlussendlich der ganze Clan, die vorgeblich ewige Haltbarkeit familiärer Blutsbande auf bloße Dogmatik reduziert. Für die alten Tage bleibt Violet nur eine Fremde als Trost und Stütze: Johnna, das indianische Hausmädchen (Isabel Mascarenhas), das Violas 14-jährige Punk-Enkelin (Georgia Lautner) mit der Bratpfanne vor einer Vergewaltigung rettet. Die schweigsame Indianerin sieht und versteht alles, was zwischen den Wänden des weißen Mannes im ihren Vorfahren gestohlenen Oklahoma geschieht.

„Eine Familie (August: Osage County)” ist ein starkes Stück und die Koblenzer Umsetzung starkes,  sehenswertes Theater. Ein Rätsel indes bleibt, wieder mal: Warum landen so viele Regisseure bei der Eskalation von Streit, Wut, Verzweiflung oft und rasch in der Schrei- und Tobsuchtslage? Wir haben das schon viel ärger erlebt als bei André Bücker, doch auch er scheint leiserem Zischen und Giften, eiseskalter Rede, verletzendem Flüstern oder tödlichem Schweigem nicht recht zu trauen. 

Andreas Pecht


Infos: >>www.theater-koblenz.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 25. Januar 2016)


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