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2016-04-04 Schauspielkritik:

Ein Skandälchen:
Die sexgierige "Hedda Gabler"



Uwe Eric Laufenberg inszenierte den Klassiker von Henrik Ibsen am Staatstheater Wiesbaden

 
ape. Wiesbaden. Die Inszenierung des Schauspielklassikers „Hedda Gabler” von Henrik Ibsen durch Intendant Uwe Eric Laufenberg jetzt in Wiesbaden hätte das Zeug zum Skandälchen. Auch empfiehlt das Staatstheater den Besuch erst ab 14 Jahren. Denn im ersten Teil scheint es vornehmlich um das Eine zu gehen: schnellen Sex. Beiläufig von vorne, hinten, oben, unten mit Händen, Mündern, Leibern  vollzogen – um betuliche Salonkonversation etwas zu pfeffern. Das Publikum nimmt den Realismus der angedeuteten Triebabfuhren gelassen. Man ist im Medienzeitalter allgegenwärtiger Lustbarkeitssdarstellung Ärgeres gewöhnt. Und: Da wird schließlich nur sichtbar ausgespielt, was im Stücktext von 1890 mannigfach angedeutet als Kopfkino zwischen den Zeilen steht.



Zentrum der Begierden ist die Titelfigur: Hedda, verwöhnte Generalstochter, jungverheiratet mit dem langweiligen Wissenschaftler Tesman, bildschön, lebensdurstig, frustriert, dünkelhaft, freiheitssüchtig, untüchtig, egozentrisch, verträumt, intrigant, begehrenswert und begehrend. Eine schillernde Frau, deren Widersprüchlichkeit seit jeher eindeutige Parteinahme schier unmöglich macht. Bei Judith Bohle ist sie in guten Händen. Die Titeldarstellerin versteht sich fabelhaft auf das Wechselspiel zwischen Damenhaftigkeit, Girly-Stil und hemmungsloser Erotomanin.

Sie reitet den Gatten, der ihr jedoch nie genug bieten kann – sexuell wie materiell. Sie vergnügt sich mit Richter Brack, Freund des Hauses, der in der Spielweise von Uwe Kraus allzeit-geil auf eine geheime Menage a Trois hinarbeitet. Sie wälzt sich lusttoll mit ihrer alten Liebe Eilert (Tom Gerber) – unsteter, aber lebenssaftiger Studienkollege und Konkurrent ihres drögen Gatten – auf dem Wohnzimmerboden. Ihn wird Hedda schließlich vernichten, in den Suff zurück- und in einen „schönen” Selbstmord hineintreiben: Das nur, damit in dem von ihr als banal empfundenen Leben einmal „etwas Großes” geschieht. Als daraus nichts wird, gibt sich Hedda die Kugel.

Der knapp dreistündige Abend im langweilig-sterilen Modernesalon mit Ausblick auf einen Fjord (Bühne: Matthias Schaller) hat nur zwei missratene Minuten gleich zu Beginn. Laufenberg lässt aus dem Off Karlheinz Stockhausens seltsame Äußerungen einspielen, wonach die Anschläge 9/11als eine Art finaler Kunstakt verstanden werden könnten. Die Übertragung dieses Gedankens auf das Stück funktioniert glücklicherweise nicht. Vielmehr entwickelt sich auf der Bühne ein bemerkenswerter atmosphärischer Dreischritt.

Erst wird mit leisem Boulevardhumor der Kontrast zwischen Heddas Begehrlichkeiten und der bei Janning Kahnert stets freundlich-drögen Spießigkeit des Gatten Tesman ausgeformt. Dann tritt die Inszenierung in ihre libidinöse Phase ein, wird Sex ohne Liebe zur Metapher auf die spaßerfüllte Leere des Heute. Parallel mischt sich mit Kruna Saviæ als Muse und Mitarbeiterin Eilerts das personifizierte Puristenprinzip Liebe ohne Sex ins Geschehen. Das führt schließlich dazu, dass quasi Ibsen wieder selbst das Regiment übernimmt: In der tragischen Endphase geht es um Heddas Macht über die Schicksale und die letztliche Vergeblichkeit ihres Bemühens, aus sinnloser Kurzweil Lebenssinn schöpfen zu wollen.

So gesehen, erreicht Laufenbergs teils drastische Inszenierung etwas, das im Theater für den Umgang mit Klassikern wünschenswert ist: Sie stellt weitgehend stimmige und bedenkenswerte Bezüge zwischen dem Gehalt des alten Stückes und unserer Gegenwart her. Umbruch war damals, Umbruch ist heute wieder – auf seltsamen Wegen, über deren Verlauf und Ziel Ibsen damals grübelte und wir jetzt dringend grübeln müssten.

Andreas Pecht

Infos: >> www.staatstheater-wiesbaden.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 2. April 2016)


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