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2016-04-23 Schauspielkritik:

Topaktuelles Drama in
marodem (Kirchen-)Schiff
 
Uraufführung von "Am Sonntag bis du tot" in Mainz über Folgen priesterlichen Kindesmissbrauchs in Irland

 
ape. Mainz. Die ersten Sitzreihen des Zuschauerparketts weggeräumt, dorthin das riesige Segment eines alten, hölzernen, ziemlich durchlöcherten Schiffsrumpfes gebaut: Das ist die Spielfläche für die Uraufführung des Schauspiels „Am Sonntag bist du tot” im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters nach dem Filmdrehbuch von John Michael McDonagh. Entworfen hat die Kulisse Thomas Drescher, der die eigentliche Bühne dahinter leer lässt. Irische Provinz anno 2009, der Katholizismus Irlands tief erschüttert von der Aufdeckung jahrzehntelangen systematischen Kindesmissbrauchs durch viele seiner Priester.



Denkt man sich den Schiffsrumpf zugleich als auf den Kopf gestelltes Kirchenschiff, ergibt sich eine interessante Metaphorik. Das Leben dieser Iren spielt sich ab zwischen: einerseits, ihrer umgestürzten, vom Auseinanderbrechen bedrohten Kirche; an der wird, andererseits, jetzt mühsam herumrenoviert, wie Baugerüste an den Seitenflanken des Rumpfes zeigen. Die Menschen, mit denen wir es während des zweistündigen Abends zu tun bekommen, wandeln buchstäblich auf unsicherem Boden mit tausenderlei Fallgruben. Zumal sie zeitgleich zur Kirchenkrise von der Bankenkrise gebeutelt werden.

In Pfarrer James kulminieren exemplarisch alle Widersprüche, die die grüne Insel und ihre Menschen zu dieser Zeit umtreiben. Ausgangspunkt des Stückes ist eine Beichte, während der ein einst von James' verstorbenem Vorgänger im Kindesalter missbrauchter Mann dem jetzigen Inhaber des Priesteramtes den Tod androht. In einer Woche, am Sonntag, werde er ihn töten, verkündet der Unerkannte – ihn, den unschuldigen Pfarrer, weil das mehr bewirke als die folgenlose Tötung eines schuldigen. Regisseur K.D. Schmidt lässt diesen Text von mehreren Schauspielern aus dem Halbdunkel sprechen, unterstreicht damit, dass der Missbrauchte hier für viele steht.

Nach der möderischen Ansage entfaltet sich eine vielgestaltige Folge kurz geschnittener Szenen mit fließenden Übergängen. Gezeigt werden auf sieben Tage verteilte Begegnungen von James mit ganz unterschiedlichen Leuten aus seinem Ort nebst deren Eigenarten, Gelüsten, Hoffnungen und mehr noch Hoffnungslosigkeiten. Martin Herrmann formt da einen Priester, der auf sympathische, volksnahe, wenig dogmatische Weise seinem Job der Seelsorge und Fürsorge nachgeht. Der Mann kennt das Leben mitsamt Abgründen: Er war Ehemann, Vater einer Tochter und Alkoholiker; er zog die Soutane erst an, als ihm die Frau gestorben war. Aus jener Zeit steht noch eine alte Schuld zwischen ihm und der jetzt erwachsenen Tochter Fiona – um deren beidseitige Vergebung Herrmann und Antonia Labs in einer schönen Mehrschichtigkeit aus Angst, Vorwurf, Zorn und Liebe ringen.

Erst kaum wahrnehmbar, dann sich zusehends verdichtend, liegt über dem Abend die Drohung des Anfangs. James wird von Tag zu Tag nervöser, dünnhäutiger; besorgt sich beim schwulen Polizeiinspektor (Armin Dillenberger) einen Revolver, berät sich nutzlos mit dem ignoranten Bischof (Klaus Köhler). Ängstlicher Verdacht nagt an ihm: Könnten der Wirt des Pubs (Denis Larisch), der stinkreiche Dekadenzling von Banker (Clemens Dönicke) oder der örtliche Strichjunge (Sebastian Brandes) sein potenzieller Mörder sein? Ist es womöglich der Arzt, der versoffene Schriftsteller oder der die geile Metzgersfrau (Ulrike Beerbaum) beglückende farbige Automechaniker (Joel Sansi)?

Die meisten Akteure schlüpfen in zwei Rollen, und auf fast allen Positionen wird recht typenstark sowie teils mit einem feinen Quäntchen schwarzen Humors gespielt. Showdown dann am siebten Tage. Und der Mörder ist … Das erkennt bis dahin auch der Zuseher nicht und es soll hier nicht verraten sein. Weil „Am Sonntag bist du tot” kein Kriminalstück ist, spielt es sowieso keine große Rolle, wer sich letztlich als Bestrafer der Kirche und derer, die ihre Hände in Unschuld waschen, outet. Denn jeder hätte als Kind Opfer eines kirchlichen Hirten werden können. Sehenswert.

Andreas Pecht


Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 24. April 2016)


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